fortschreitenden Fluß zu präsentieren, sondern in separierte Einzelbilder aufzulösen, die durch
ein Pantomime-Spiel und einen Ansager erklärt wurden.64
Ein vermutlich äußerst seltenes Beispiel in der Geschichte der lebenden Bilder bis ins
18. Jahrhundert ist die Anlehnung der Bildformulierung an ein konkretes Kunstwerk. Wäh-
rend des Herrschereinzugs Philipps des Guten 1458 in Gent wurde der berühmte Genter
Altar »Die Anbetung des Lammes« der Gebrüder van Eyck (1432 vollendet) von der
Rhetorikgilde zum Vorbild genommen, um ihn als Tableau vivant mit dem Titel »Chorus
beatorum in sacrificium Agni Pascalis« in Szene zu setzen (Abb.9).65 Eine Chronik berichtet,
daß eine dreistufige Bühne, die 100 mal 28 Fuß (»pieds«) maß, die verschiedenen Abteilun-
gen mit allen Inschriften analog zur Innenseite des Altares zeigte, nur Adam und Eva fehl-
ten.66 Obwohl aus praktischen Überlegungen die vielen Figuren des Gemäldes auf jeweils
sechs Darsteller pro Gruppe reduziert wurden, wirkten immer noch mindestens 90 Personen
mit, die für den Herzog figurierten und sangen. Ein großer, weißer Vorhang wurde bei der
Ankunft des Herrschers beiseite gezogen. Wie der Hintergrund gestaltet war, ist ungewiß.67
Das Original hing nur wenige Schritte entfernt in St. Bavo und war Philipp dem Guten nicht
nur bekannt, sondern inhaltlich eng mit seiner Person verbunden. Es zeigt die ideale Stadt
Gottes, die im lebenden Bild als Modell für die irdische Stadt Gent diente. Philipp, mit dem
sich die Stadt nach Unruhen versöhnen wollte, sah man als den vorbildlichen Stellvertreter
Gottes an, dessen weise Regierung zu einem Paradies auf Erden führen sollte.68 Außerge-
wöhnlich ist nicht die Deutung der religiösen Thematik im weltlichen Zusammenhang, son-
dern die Übernahme einer Bildidee aus einem schon formulierten Gemälde in die »reale«
Sphäre des lebenden Bildes. Zum einen machten sich die Bürger Gents den ikonographischen
Gehalt des Altarbildes für ihre konkrete Situation zunutze, zum anderen spricht diese Über-
tragung für die immense Wertschätzung des Gemäldes als künstlerisches Werk und den Stolz
der Bürger auf ihre kulturellen Errungenschaften.
64 Kindermann spricht hier von einer frühen Vorform des »epischen Theaters«, vgl. Kindermann I.
1957, S.251.
65 Vgl. hierzu die sehr gute Abhandlung von Smith 1989, der sich genau mit dem historischen Hinter-
grund, der Ikonographie der verschiedenen Bilder und den Analogien beschäftigt, siehe dort auch
die angegebenen Quellen. Freundlicher Hinweis von Herrn Prof.Dr. Hans Belting. Vgl. Dhanens
1973, S.128. Vgl. Kernodle 1944, S.65 und 199. Vgl. van Puyvelde. In: lacquot II. 1960, S.288.
Vgl. Jacquot. In: lacquot. II. 1960. S.448. Siehe auch die Quelle Blommaert, Geschidnis der Rheto-
rykkamer de Fonteine te Gent. In: Kindermann II. 1959. S. 214. Vgl. Möseneder 1983. S.26. Vgl.
vor allem zu den Inschriften die Dissertation von Goodgal 1981, S.96-98, 271-277 und 343-344.
Dort auch entsprechende Hinweise zur Quellenlage. Vgl. Eichberger 1988, S.54-56. Auch Helas
hat in ihrer noch nicht veröffentlichten Dissertation »Lebende Bilder. Ein Phänomen der italieni-
schen Festkultur des Quattrocento« von 1997 kein weiteres Beispiel eines Bezugs auf eine konkre-
te Bildvorlage gefunden.
66 Nacktheit in der Öffentlichkeit damals darzustellen, war offenbar nicht möglich.
67 Vgl. Smith 1989. S.262/263. Kernodle dokumentiert für Brügge 1515 illusionistisch gemalte Hinder-
gründe, die direkt von Gemälden kopiert wurden, vgl. Kernodle 1944, S.105.
68 Der Genter Altar wurde von Voos Vijd und Elizabeth Borluut in Auftrag gegeben und war sehr eng
mit Philipp dem Guten und Isabella von Portugal verknüpft. Er war in einer angespannten politi-
schen Situation entstanden und sein ikonographisches Programm reflektiert des Bürgermeisters
Joos Vijds Unterstützung für die Valois-Fürsten von Burgund und seinen Wunsch für einen Frie-
densschluß zwischen der Stadt und dem Herzog Philipp, der erst 1358 in dem adventus seinen
Ausdruck findet. Vgl. zu den komplexen thematischen Bezügen den Aufsatz von Jolly 1987. Freund-
licher Hinweis von Felix Weber. Vgl. auch Smith 1989. S.266, er nennt z.B. die enge Verbindung
Jan van Eycks zu Philipp und die Übernahme von Motiven des Bildes in Umhänge, die Philipp für
das Goldene Flies in Auftrag gab.
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ein Pantomime-Spiel und einen Ansager erklärt wurden.64
Ein vermutlich äußerst seltenes Beispiel in der Geschichte der lebenden Bilder bis ins
18. Jahrhundert ist die Anlehnung der Bildformulierung an ein konkretes Kunstwerk. Wäh-
rend des Herrschereinzugs Philipps des Guten 1458 in Gent wurde der berühmte Genter
Altar »Die Anbetung des Lammes« der Gebrüder van Eyck (1432 vollendet) von der
Rhetorikgilde zum Vorbild genommen, um ihn als Tableau vivant mit dem Titel »Chorus
beatorum in sacrificium Agni Pascalis« in Szene zu setzen (Abb.9).65 Eine Chronik berichtet,
daß eine dreistufige Bühne, die 100 mal 28 Fuß (»pieds«) maß, die verschiedenen Abteilun-
gen mit allen Inschriften analog zur Innenseite des Altares zeigte, nur Adam und Eva fehl-
ten.66 Obwohl aus praktischen Überlegungen die vielen Figuren des Gemäldes auf jeweils
sechs Darsteller pro Gruppe reduziert wurden, wirkten immer noch mindestens 90 Personen
mit, die für den Herzog figurierten und sangen. Ein großer, weißer Vorhang wurde bei der
Ankunft des Herrschers beiseite gezogen. Wie der Hintergrund gestaltet war, ist ungewiß.67
Das Original hing nur wenige Schritte entfernt in St. Bavo und war Philipp dem Guten nicht
nur bekannt, sondern inhaltlich eng mit seiner Person verbunden. Es zeigt die ideale Stadt
Gottes, die im lebenden Bild als Modell für die irdische Stadt Gent diente. Philipp, mit dem
sich die Stadt nach Unruhen versöhnen wollte, sah man als den vorbildlichen Stellvertreter
Gottes an, dessen weise Regierung zu einem Paradies auf Erden führen sollte.68 Außerge-
wöhnlich ist nicht die Deutung der religiösen Thematik im weltlichen Zusammenhang, son-
dern die Übernahme einer Bildidee aus einem schon formulierten Gemälde in die »reale«
Sphäre des lebenden Bildes. Zum einen machten sich die Bürger Gents den ikonographischen
Gehalt des Altarbildes für ihre konkrete Situation zunutze, zum anderen spricht diese Über-
tragung für die immense Wertschätzung des Gemäldes als künstlerisches Werk und den Stolz
der Bürger auf ihre kulturellen Errungenschaften.
64 Kindermann spricht hier von einer frühen Vorform des »epischen Theaters«, vgl. Kindermann I.
1957, S.251.
65 Vgl. hierzu die sehr gute Abhandlung von Smith 1989, der sich genau mit dem historischen Hinter-
grund, der Ikonographie der verschiedenen Bilder und den Analogien beschäftigt, siehe dort auch
die angegebenen Quellen. Freundlicher Hinweis von Herrn Prof.Dr. Hans Belting. Vgl. Dhanens
1973, S.128. Vgl. Kernodle 1944, S.65 und 199. Vgl. van Puyvelde. In: lacquot II. 1960, S.288.
Vgl. Jacquot. In: lacquot. II. 1960. S.448. Siehe auch die Quelle Blommaert, Geschidnis der Rheto-
rykkamer de Fonteine te Gent. In: Kindermann II. 1959. S. 214. Vgl. Möseneder 1983. S.26. Vgl.
vor allem zu den Inschriften die Dissertation von Goodgal 1981, S.96-98, 271-277 und 343-344.
Dort auch entsprechende Hinweise zur Quellenlage. Vgl. Eichberger 1988, S.54-56. Auch Helas
hat in ihrer noch nicht veröffentlichten Dissertation »Lebende Bilder. Ein Phänomen der italieni-
schen Festkultur des Quattrocento« von 1997 kein weiteres Beispiel eines Bezugs auf eine konkre-
te Bildvorlage gefunden.
66 Nacktheit in der Öffentlichkeit damals darzustellen, war offenbar nicht möglich.
67 Vgl. Smith 1989. S.262/263. Kernodle dokumentiert für Brügge 1515 illusionistisch gemalte Hinder-
gründe, die direkt von Gemälden kopiert wurden, vgl. Kernodle 1944, S.105.
68 Der Genter Altar wurde von Voos Vijd und Elizabeth Borluut in Auftrag gegeben und war sehr eng
mit Philipp dem Guten und Isabella von Portugal verknüpft. Er war in einer angespannten politi-
schen Situation entstanden und sein ikonographisches Programm reflektiert des Bürgermeisters
Joos Vijds Unterstützung für die Valois-Fürsten von Burgund und seinen Wunsch für einen Frie-
densschluß zwischen der Stadt und dem Herzog Philipp, der erst 1358 in dem adventus seinen
Ausdruck findet. Vgl. zu den komplexen thematischen Bezügen den Aufsatz von Jolly 1987. Freund-
licher Hinweis von Felix Weber. Vgl. auch Smith 1989. S.266, er nennt z.B. die enge Verbindung
Jan van Eycks zu Philipp und die Übernahme von Motiven des Bildes in Umhänge, die Philipp für
das Goldene Flies in Auftrag gab.
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