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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0044
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3.1. Lebende Bilder innerhalb von Theaterstücken

3.1.1. Theaterreformen des 18. Jahrhunderts

Das erste gesicherte lebende Bild nach einem konkret benannten Gemälde - abgesehen von
der außergewöhnlichen Nachstellung des Genter Altars im 15. Jahrhundert - ist für das Jahr
1761 in einem Pariser Theater belegt (Kat.Par.1761), also kurz nach Erscheinen einiger be-
deutender theatertheoretischer Schriften des 18. Jahrhunderts, vor allem des französischen
Schriftstellers und Aufklärers Denis Diderot (1713-84). Als Einblendungen innerhalb von
Theaterstücken traten lebende Bilder nicht als eigenständige Form auf, sondern warenfin ei-
nen theatralen Gesamtzusammenhang eingebunden. Ihr diesbezüglicher Einsatz hing eng mit
den Theaterreformen des 18. Jahrhunderts in Frankreich und den zielgerichteten Ansprüchen
der Theater-Veranstalter zusammen.3

Unter zahlreichen Veränderungen, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich ab-
zeichneten, befand sich auch die Reformierung des Theaters4 in allen Bereichen: Dramen-
theorie, Inszenierung,5 schauspielerische Praxis und Wirkungsästhetik.6 Sehr bedeutsam war
die Akzentverschiebung von der Betonung der dramatischen Ebene, die seit Aristoteles im-
mer bedeutendster Faktor des Theaters war, zu der inszenatorischen Vermittlung eines Theater-
stückes, der Opsis. Der institutionellen Trennung von höfischem Prunk- und derbem Volks-
theater wurden neue Theaterformen wie beispielsweise das Theätre de la Foire, die Opera-
Comique oder die Comedie Italienne entgegengesetzt.7 Auf der Bühne verlangte man nach
einem bildkonstituierenden Theater. Statt der Unübersichtlichkeit des herkömmlichen Thea-
ters wurde für die Fixierung des bedeutsamen Moments durch das Verharren in einer maleri-
schen Stellung und in der Folge für die Aneinanderreihung von Momentaufnahmen plädiert.8

3 Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß lebende Bilder nach konkreten Bildvorlagen in den Theatertex-
ten selten erwähnt wurden - nach Durchsicht zahlreicher Theaterstücke (Tragödien, Komödien,
Folie, Vaudevilles, Pastorale, historische Dramen, Parodien), die in Paris aufgeführt wurden, fan-
den sich als Regieanweisung nur die wenigen, die im Katalog aufgeführt sind.

4 Ohnehin begann die Diskussion von spezifisch theatertheoretischen Problemen in Europa erst um
die Mitte des 18. Jahrhunderts, vgl. Lazarowicz: Einleitung. In: Lazarowicz / Balme 1991, S.21.
Vgl. den Aufsatzsammeiband zum französischen Theater im 18. Jahrhundert, hrsg. von Rieger
1984. Vgl. auch den guten Überblick bei Graczyk 1989, S.7-61.

5 Die Begriffe »Inszenierung«, »Regie« oder »Regisseur« tauchen erstmals Ende des 1 S.Jahrhun-
derts auf, entwickelt aus den Begriffen »mettre en scene« und »mise en scene«. Der erste ausführ-
liche Definitionsversuch zu den Begriffen »Regie« und »Inszenierung« stammt von August Lewald
aus dem Jahre 1837. Franz von Akäts rechnet in seiner Abhandlung »Kunst der Scenik« (1841) die
Inszenierung den bildenden Künsten zu und unterscheidet zwischen »Anordnung der Ausschmük-
kung« und »Anordnung des Lebendigen«, vgl. Lazarowicz / Balme 1991, S.302-306.

6 In unserem Zusammenhang interessiert weniger die Reform des Zuschauerraums oder der Außen-
architektur. Vgl. Nagel 1984. l.u.2.Spalte. Zur Entwicklung der Bühne vom Raum zum Bild, vgl.
Frenzel 19842. S. 154-156. Zum deutschen Theater im 18. Jahrhundert, vgl. Maurer-Schmook 1982.

7 Vgl. den Aufsatzband zum Nationaltheater, hrsg. von Bauer / Wertheimer 1983, y.a. den Artikel
von Roger Bauer zu »Theater und Nation in Frankreich«, S.95-103 und von Reinhard Meyer zum
deutschen Nationaltheater, S. 124-152. In Deutschland errichtete man Nationaltheater, ab den 60er
Jahren wurden einige Hoftheater zu nationalen Bühnen umgewandelt, vgl. Wezel 1964. S.20-63.
Über die Nationaltheaterbewegung in Deutschland, vgl. Harten 1974. S.70.

8 Vgl. das Kapitel »Historical Introduction« bei Holmström 1967. S. 11-39. Vgl. Goodden 1984.
S.397-413.

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