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Nr. 1

JUGEND

1897

Arpad Schmidhammer {München).

Ser städtische Kehrbesen

Eine nächtliche Spukgeschichte vom Münchner
Marienplatz, von Fritz Salzer.

Mein Freund, der Di. Schnack, war ein
interessanter Mensch. Bleich war er, groß, mager
und hatte vorstehende Backenknochen. Auf der
scharfen Nase balancirte ein goldener Klemmer,
hinter dein die großen, schwarzen Augen glan-
zend hervorblickten. Seine mageren, weißen
Finger drehten forttvährend den schwarzen Schnurr-
bart oder riicktcn nervös an dem Klemmer herum,
wenn er sich lebhaft unterhielt. Dabei rauchte
er unaufhörlich Cigaretten, die er selbst aus
schlverem türkischem Tabak drehte. So oft jetzt
sein Bild in meiner Erinnerung aufsteigt, immer
sehe ich das schmale, blasse Gesicht hinter einer
leichten blauen Wolke von Cigarettcndampf; das
gehörte so nothwendig zu seiner Erscheinung, wie
die Raben zu Odin.

Wie oft hatte man ihm schon prophezeit, daß
er daran zu Grund gehen müsse: aber da er
selbst Arzt war, rauchte er ruhig weiter, ebenso,
>vie er auch trotz aller Warnungen regelmäßig
den größten Theil der Nacht im Rathskeller zu-
brachte, wo er viele Flaschen schweren Weines
trank. Bier rührte er nicht an, „weil es ver-
dumme, während der Wein seinen Geist befreite".

„Wissen Sie, 'klüger wird Keiner durch den
Wein," sagte er mir einmal, „aber die Hem-
mungen fallen >veg, wissen Sie, die Hemmungen,
die Barrieren, die einem überall vor der Nase
stehen, wenn man nüchtern ist. Man weiß ja
wohl, daß man darüber springen könnte, aber
man thut's nicht, man hat keine Lust dazu! Aber
nach ein paar Flaschen Wein, wissen Sie, da
sangen die Gedanken vor Ungeduld an zu tän-
zeln, wie die Rennpferde am Start. Noch ein
paar Gläser, und dann geht's los, hei! über
alle Hecken, daß die Funken stieben. Und sehen
Sie, dieses Vergnügen lasse ich mir durch keinen
Anüalkoholisten rauben."

Ich muß gestehen, daß damals diese seine
Lehren einen großen Eindrmck auf mich machten,
und daß ich nach kurzer Zeit mit großem Genuß
an diesem Rennen im Rathskeller Theil zu neh-
men pflegte.

So hatte ich ihn nun auch einmal eines Tages
abgeholt.

Er saß in seinem Arbeitszimmer am Mikro-
skop; rings um ihn herum standen in kleinen
Drahtkörbchen Glasröhrchen mit Bakterienkul-
turen: denn Bakteriologie war sein Spezialgebiet,
auf dem er sich schon durch geniale Arbeiten be-
kannt gemacht hatte.

„Wollen Sie hineinsehen," sagte er, indem
er auf sein Mkroskop deutete. Auf blauem Grunde
sah ich eine Masse tief roth flefärbter, kleiner
Stäbchen, welche kreuz und quer durcheinander
lagen.

„Was ist das?" fragte ich.

„Ein Würgengel der Menschheit", antwortete

er, „1300 mal vergrößert. Tuberkelbacillen sind

es. Sehen Sie, hier ist die Sippschaft." Und

er nahm ein mit trübem Brei gefülltes Röhrchen
heraus und hielt es mir hin. „Und hier haben
Sie die anderen Herren, die Cholera, das Faul-
fieber, den Typhus, die Lungenentzündung und
wie sie alle heißen!"

Dabei hielt er mir jedesmal das betreffende
Röhrchen, in welchem sich auf durchsichtiger Gela-
üne bald ein farbiger, bald ein weißer oder
grauer Streifen oder Tropfen befand, vor die
Rase.

Mir lief eine Gänsehaut nach der andern
den Rücken hinunter, denn die Nahe dieser zwcisel-
hasten Existenzen, nur durch ein Glasrohr und
einen Wattepfropfen von mir getrennt, war mir
unheimlich. Di. Schnack aber lachte, als er die
Röhrchen wieder hinstellte.

„Keine Angst! Sind gefangene und gezähmte
Exemplare! Haben keine Zähne, die meisten
wenigstens. Nur die da sind gefährlich. Könnte
Ihnen da eine schlimme Geschichte erzählen, von
denen da-"

„Mein lieber Doktor", siel ich ein, „machen
toir, daß wir fortkommen. Ich gestehe Ihnen,
daß ich lieber in einer harmloseren Gesellschaft
Verkehre."

Bald schlenderten wir langsam nach dem
Rathskeller hin. An einer Straßenecke blies ein
Windhauch eine mächtige Staubwolke uns ent-
gegen.

„Wenn nur der Teufel den Staub holen
wollte!" rief Di. Schnack, indem er nervös mit
den Augen zwinkerte und alle Zeichen eines leb-
haften Abscheus von sich gab. „Sehen Sie nur
die Pyramide da an! Unten der dickste Dreck,
dann höher die Strohhalme, Alles im Kreis ge-
trieben und ganz oben der pulverisirte Unrath.
Ich sage Ihnen, das winnnelt nur so von Ba-
cillen! Und so was soll man nun einathmcn!
Ein Königreich fiir ein Glas Wein zum Hinunter-
spülen!" —

Bald saßen wir in unserer Stammecke im
Rathskcller; ans dem blanken Eiskübel lugten
neugierig zwei gelbgesiegelte Flaschenköpfe auf
den Tisch, über dem Di. Schnacks Cigaretten-
dampf eine wohlriechende Wolke bildete.

Es dauerte nicht lange, so leuchteten die
Augen meines Freundes lebhafter, und die Hem-
mungen fingen an wegzufallen. Es lvar nun
wirklich eine Freude, ihm zuzuhörcn.

Was ihn auszeichnete, war ein klarer Ucbcr-
blick über große Gebiete der verschiedensten Art;
so speciell er sich in seiner Wissenschaft beschäftigte,
so sehr sehnte er sich danach, Alles von großen
Gesichtspunkten aus zu betrachten, alle Einzel-
erscheinungen zurückzuführen auf große, einfache
Gesetze.

So verbreitete er sich jetzt über die Nothlagc
seines Standes in der Gegenwart und führte die-
selbe zurück auf die allgemeine sociale Frage.

„Mangel an Abnehmern, das ist's! Bei
den Aerzten so gut wie bei den Andern. Zu
viel Aerzte gibt's nicht, Unsinn! Aber die halbe
Menschheit ist auf ein Minimum ärztlichen Rnthes
beschränkt. Was darüber ist, kann sie sich so
wenig leisten, wie Luxusarttkel. Mangel an

Abnehmern, das ist's!-Wissen Sie,

was ich glaube? Unsere europäischen Kultur-
nationen sind überhaupt nicht im Stande, die
sociale Frage jemals zu lösen. Degenerirt sind
sie. Ueberhanpt degenerirt die Kultur die Race.
Denken und Fühlen greift an. Gesund ist die

Dummheit.-Prosit!-Werden zu Grunde

gehen! — — Prosit! — — Chinesen werden
kommen, uns überfluthen wie ein Heuschrecken-
fchwarnr. Kultur ivird Schraubenbewcgung rück-
wärts machen, dann wieder vorwärts. Na,
Prosit!"

Immer weitere Hemmungen sielen bei mei-
nem Freund, je mehr Flaschenhälse aus dem
Kübel herausgucktcn. Er vertiefte sich in die
tiefsten Probleme, stellte Muthmaßungcn an über
die Art des großen Kampfes gegen die Chinesen
und rauchte dazu unzählige Cigaretten, während
es vor meinen Blicken bereits leicht zu schwanken
und zu fließen begann.

Schließlich machte er noch einige Zaubcr-
kunststücke, worin er Meister war, und wobei ihn
sein ohnehin etwas magisches Aeußere nicht
wenig unterstützte. Namentlich an jenem Abend
hätte es mich nicht geivundcrt, tvenn er plötzlich
auf einem Faß zuin Rathskeller hinausgeritten
tväre.

Das geschah aber nicht, sondern wir gingen,
soweit ich mich noch erinnere, in starken Zickzack-
linien aus dem Lokal, ciue stattliche Anzahl
Flaschen und einen Haufen Cigarettenstunimel
darin zurücklassend.

Auf dem Marienplntz schienen mehrere Monde
so hell, wie schon lange nicht mehr; der alte
Peter machte deutliche Verbeugungen, und wenn
ich versuchte; die Spitze der Maricnsäule zu be-
trachten, so siel diese so schnell um, daß ich nach
der andern Seite geschleudert wurde. Am Fuße
des Brunnens setzten wir uns nieder, um aus-
zuruhen. Ich >var in einer seltsamen Stimnnmg;
Alles kam mir so wunderbar vor, wie verzau-
bert, und die Kunststücke Dr. Schnack's kamen
mir in den Sinn.

Da plötzlich, welches Getöse aus der schma-
len Rosengasse? Was ist das?

Mühsam, Arm in Arm, dringen wir über
den Platz hinüber vor, um die Ursache des phan-
mstischen Geräusches zu ergründen. Hilf Him-
mel! da kommt cs! Meine Sinne taumeln vor
Entsetzen.

Voraus reitet, auf schwarzem, stampfendem
Rosse eine Gestalt, mit einem Schwert in der
Hand. Der Krieg, denke ich. Es kracht und

rasselt.-Rechts und links fliegen die Tvdten

herum; Pulvcrdampf und Staub steigt aus, in
dichten Wolken; bis zu den Dächern der schmalen
Gasse hebt er sich empor, die Monde verfinsternd.

Immer näher dringt es heran, unheimlich,
rasselnd, Wolken hinter sich verbreitend. Men-
schen fliehen mit verhülltem Antlitz über die
Straße, im Laufschritt. Husten und Röcheln
ertönt.

„Pfui Teufel," ries Schnack, „sehen Sie nur
den Staub, die Bacillen!"

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