‘ JUGEND *
Nr. 3
Die grosse Kupfermünze
Dass man auf einem Zehncentesimi-Stiicke bequem schuh-
plattln könnte, ist eine Uebertreibung, aber das bleibt ge-
wiss : eine umjangreiche Münze ist so ein Ding. Hat man
solcher geprägten Präsentirteller zwanzig in der Tasche,
so fühlt man sich schwer reich und entledigt sich dieser
Kupfermassen schneller, als unter Umständen rathsam ist.
Vielleicht hat man sie so schwerwichtig gemacht, damit
das Volk wenigstens die Illusion habe, mit Schätzen be-
laden zu sein; vielleicht ist es aus Gründen der Sanitäts-
polizei geschehen, damit die Leute, die mit diesen Metall-
stücken hantiren, gleichzeitig ihre Muskeln stärken; viel-
leicht wollte man, da in Italien das Wajfentragen so streng
verboten ist, die Leute auf diese Weise doch mit einer
Art Waffe versehen, denn man kann mit ihnen einen
Mitmenschen bequem todtschlagen. Das sind Tragen der
Münzpolitik und Volkspsychologie, die ich den Specialisten
dieser Gebiete überlasse. Sie gehen mich nichts an und
haben auch nichts mit den merkwürdigen Erscheinungen
zu thun, die ich hier erzählen will.
Ich war in Venedig. Es war ein sehr heisser August-
tag, und die Lagunen stanken ein bischen. Ich wollte
eigentlich in die Kühle der Markuskirche flüchten, wo,
von den alten Mosaiken her, das Christenthum mit eckig
byzantinischen Gebärden seine Ursprache, das Orientalische,
spricht. Es ist so eine Art feierliches Gemauschel, dem ich
indessen den Vorzug gebe vor der allzuschönen Sprache
der Renaissancegewaltigen. Es kommt ans keuchenden
Seelen, die es verstanden haben, sich bis auf den Rest
auszugeben. Eine Kunst befreiter Sclaven, die den freien
Gang noch nicht kannten.
Aber ich kam nicht bis in die Markuskirche. Ich hatte
zu viele Zehncentesimi-Stücke in der Tasche, und es war,
wie schon bemerkt, sehr heiss. Auf dem Bronzesockel einer
der schönen hohen Flaggenstangen sank ich erschöpft nieder.
Und nun passirte mir das Sonderbare.
Ich muss wohl eingeschlafen sein. Oder sollte ich
im Wachen meine Zehncentesimi-Stücke über den Markus-
platz gerollt haben ? Nein, das glaube ich nicht. Und der
Markusplatz ist auch kein Schachbrett. Aber mir war es
doch so! Ja. Und ich nahm die Kupferstücke wie
Damenspielsteine und Hess sie über das grosse Schachbrett
laufen. Es machte mir Spass, zu sehen, wie sie erst ge-
rade dahin rollten, dann eine kleine Biegung machten, dann
sich um sich selbst drehten und wipp-wapp platt niederfielen.
Eines neben dem andern.
Das ist schon ziemlich närrisch. Aber es kommt noch
besser. Plötzlich, nein, es ist wirklich recht merkwürdig,
plötzlich, aber nun lachen Sie mich gewiss aus, plötzlich
war mir, ich wüchse schussweis wie eine Palme von Jahres-
knorren zu Jahresknorren hoch auf und wäre, um Gottes-
willeu, wäre der Campanile und hätte einen Schneckengang
aus Ziegelsteinen im Leibe. Aber hat denn der Campa-
nile rund um sich herum Hände wie ein indischer Oel-
götz ? So an die tausend etwa, und jede dieser Hände
wirft tinablässig Zehncentesimi-Stücke von sich. Die fallen
klirr aufs Marniorpflaster und . . .
Aber ich bitte Sie ! Jetzt sind es Bicycles! Die Doppel-
soldi sind Bicycles, und auf jedem sitzt ein nackter Kerl,
Bub oder Mädel, und radelt davon mit einem heiden-
mässigen Jubelgeschrei, dass die Speichen blitzen wie Strah-
len einer rasenden Sonne. Hinaus in die weite Welt radelt
das nackte Gelichter. Erst über goldene Fliese weg, '-dann
über Platten von schwärzlichem Silber, aber im Umkreise
der Unendlichkeit lagen grüne Wälder und Wiesen, bunte
Gärten und Felder, und durch den blauen Himmel, der
darüber war, schlangen sich, wie auf den goldgründigen
Bildern der primitiven Alten, Spruchbänder mit pur pur-
45
Max Feldbauer (München)
Nr. 3
Die grosse Kupfermünze
Dass man auf einem Zehncentesimi-Stiicke bequem schuh-
plattln könnte, ist eine Uebertreibung, aber das bleibt ge-
wiss : eine umjangreiche Münze ist so ein Ding. Hat man
solcher geprägten Präsentirteller zwanzig in der Tasche,
so fühlt man sich schwer reich und entledigt sich dieser
Kupfermassen schneller, als unter Umständen rathsam ist.
Vielleicht hat man sie so schwerwichtig gemacht, damit
das Volk wenigstens die Illusion habe, mit Schätzen be-
laden zu sein; vielleicht ist es aus Gründen der Sanitäts-
polizei geschehen, damit die Leute, die mit diesen Metall-
stücken hantiren, gleichzeitig ihre Muskeln stärken; viel-
leicht wollte man, da in Italien das Wajfentragen so streng
verboten ist, die Leute auf diese Weise doch mit einer
Art Waffe versehen, denn man kann mit ihnen einen
Mitmenschen bequem todtschlagen. Das sind Tragen der
Münzpolitik und Volkspsychologie, die ich den Specialisten
dieser Gebiete überlasse. Sie gehen mich nichts an und
haben auch nichts mit den merkwürdigen Erscheinungen
zu thun, die ich hier erzählen will.
Ich war in Venedig. Es war ein sehr heisser August-
tag, und die Lagunen stanken ein bischen. Ich wollte
eigentlich in die Kühle der Markuskirche flüchten, wo,
von den alten Mosaiken her, das Christenthum mit eckig
byzantinischen Gebärden seine Ursprache, das Orientalische,
spricht. Es ist so eine Art feierliches Gemauschel, dem ich
indessen den Vorzug gebe vor der allzuschönen Sprache
der Renaissancegewaltigen. Es kommt ans keuchenden
Seelen, die es verstanden haben, sich bis auf den Rest
auszugeben. Eine Kunst befreiter Sclaven, die den freien
Gang noch nicht kannten.
Aber ich kam nicht bis in die Markuskirche. Ich hatte
zu viele Zehncentesimi-Stücke in der Tasche, und es war,
wie schon bemerkt, sehr heiss. Auf dem Bronzesockel einer
der schönen hohen Flaggenstangen sank ich erschöpft nieder.
Und nun passirte mir das Sonderbare.
Ich muss wohl eingeschlafen sein. Oder sollte ich
im Wachen meine Zehncentesimi-Stücke über den Markus-
platz gerollt haben ? Nein, das glaube ich nicht. Und der
Markusplatz ist auch kein Schachbrett. Aber mir war es
doch so! Ja. Und ich nahm die Kupferstücke wie
Damenspielsteine und Hess sie über das grosse Schachbrett
laufen. Es machte mir Spass, zu sehen, wie sie erst ge-
rade dahin rollten, dann eine kleine Biegung machten, dann
sich um sich selbst drehten und wipp-wapp platt niederfielen.
Eines neben dem andern.
Das ist schon ziemlich närrisch. Aber es kommt noch
besser. Plötzlich, nein, es ist wirklich recht merkwürdig,
plötzlich, aber nun lachen Sie mich gewiss aus, plötzlich
war mir, ich wüchse schussweis wie eine Palme von Jahres-
knorren zu Jahresknorren hoch auf und wäre, um Gottes-
willeu, wäre der Campanile und hätte einen Schneckengang
aus Ziegelsteinen im Leibe. Aber hat denn der Campa-
nile rund um sich herum Hände wie ein indischer Oel-
götz ? So an die tausend etwa, und jede dieser Hände
wirft tinablässig Zehncentesimi-Stücke von sich. Die fallen
klirr aufs Marniorpflaster und . . .
Aber ich bitte Sie ! Jetzt sind es Bicycles! Die Doppel-
soldi sind Bicycles, und auf jedem sitzt ein nackter Kerl,
Bub oder Mädel, und radelt davon mit einem heiden-
mässigen Jubelgeschrei, dass die Speichen blitzen wie Strah-
len einer rasenden Sonne. Hinaus in die weite Welt radelt
das nackte Gelichter. Erst über goldene Fliese weg, '-dann
über Platten von schwärzlichem Silber, aber im Umkreise
der Unendlichkeit lagen grüne Wälder und Wiesen, bunte
Gärten und Felder, und durch den blauen Himmel, der
darüber war, schlangen sich, wie auf den goldgründigen
Bildern der primitiven Alten, Spruchbänder mit pur pur-
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Max Feldbauer (München)