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1897


JUGEND

Nr. 4

Der Ichneumon

Einmal und nicht wieder! — —

Der Mensch soll nie an einer Menagerie
vorübergehen. Er soll sie besuchen und
wird immer was lernen, selbst in der ver-
kommensten und schäbigsten Thierbude
und wär’s nur etwas vergleichende Phy-
siognomik vor dem Affenkäfig. Freilich,
die Erklärungen, die man an solchen Orten
zuweilen bekommt — aber davon später!

Es war auf einem Jahrmarkt in der
Provinz. Ich hatte mich eben in eine
Bude locken lassen, deren Ausrufer fabel-
hafte Meerungeheuer und eine leibhaftige
»Seejungfer, auch Sirene genannt-, an-
kündigte: ein Polyp in Spiritus, ein ge-
trockneter Sägefisch und ein kleiner See-
hund, dessen schöne, dunkle Augen mich
mit dem ganzen Schwindel wieder aus-
söhnten. Dann bekam ich nebenan den
Schrecken der afrikanischen Wälder zu
sehen, die grösste Riesenschlange der Welt
— in Gestalt einer mindestens vier Fuss
langen Boa; auf dem Aushängeschild war
eine mannsdicke Python abgebildet, die
eben ein Rhinozeros verschluckte.

Die letzte Hausnummer in der Buden-
reihe hatte eine Menagerie inne, deren
bunte, abenteuerliche Bilder trotz der eben
erlebten Enttäuschungen meine Neugier
wieder rege machten. Ueber dem Eingänge
kreischte ein Papagei, daneben bettelte ein
kleiner, grünlicher Affe um Obst und an
der Kasse sass eine Dame in lichtblauer,
Taille und rothem Rock. Der Ausschnitt
ihres Mieders gab in ansehnlicher Frei-
gebigkeit dem Eintretenden eine Fülle
wogender Reize Preis, eine Fülle, die nur
Beschränkung erfuhr durch einen kleinen
Seidenpinscher, der dort Platz gefunden
hatte, wo der Ausschnitt am tiefsten war
Ob das Thier aus Gründen der Scham-

haftigkeit an jener Stelle ruhte, ob um ge-
wärmt zu werden, oder um selbst seine Un-
terlage zu wärmen, weiss ich nicht. Die
Dame nahm mit verbindlichem Lächeln
meine Gebühr für den ersten Platz ent-
gegen, lüftete mit ihrem runden, blau-
gefrorenen Arm einen Vorhang und flötete
„Bitte, hier!“

Der Geruch von wilden Thieren, nach
Sardou das Lieblingsparfum der Kaiserin
Theodora, quoll mir entgegen. Ein Mann
in reicher, aber schmutziger Husaren-
uniform war eben beschäftigt, einem hohen
Adel und verehrten Publiko die ausge-
stellten Wunder zu erklären. Da war ein
Löwe, der fror, und ein Eisbär, dem es
zu warm war. Der junge Wüstenkönig

!

I

Max^FclAh einer (München).

war höchstens ein Jahr alt und wurde als
ausgewachsener Berberlöwe vorgestellt.
Eine Hyäne musste sich natürlich der
gewohnheitsmässigen Leichenräuberei be-
zichtigen lassen, ein Wolf wurde beschul-
digt, in Russland heerdenweise arme
Reisende in Schlitten angefallen und auf-
gefressen zu haben. Dass sie unaus-
sprechlich hungrig wären, glaubte man
den Beiden, der Hyäne, wie dem Wolf.
Da war dann noch ein Stachelschwein,
das, wie der Husar versicherte, im Zu-
stande der Gereiztheit seine Stacheln wie
Pfeile auf seine Feinde abschoss, ein
recht dürftiges Opossum avancirte zum
Riesenkänguruh, und irgend ein stumpf-
sinniger Wasservogel zum Pelikan, „der

SS
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