1897
JUGEND
Nr. 5
t»
Zeichnung %u „Bibliofcca Ambrosiana" von A. Jank (München).
nung, Abzehrung im höchsten Grade, jeden
Augenblick könne es zu Ende gehen. ^
Und dann sah ich ihn wieder.
Aus dem weissen Kissen lugte ein
schmales, bleiches Gesicht hervor, die
Augen lagen tief in den Höhlen und die
langen dunkelblonden Wimpern darüber —
es durchschauerte mich, ich musste un-
willkürlich an aufgeschaufelte Erde auf
einem schneebedeckten Friedhof denken.
Ich setzte mich leise an’s Bett. Er
schlief, sein Athem ging in kurzen Zügen.
Auf dem Nachttische lag ein Buch:
La Chanson de Roland, daneben ein un-
geöffneter Brief. Die Rückseite sagte mir,
dass er von seiner jüngsten Schwester sei.
Wuth und Ingrimm packte mich, wie
ich ihn so daliegen sah. Wieder ein Opfer
der Wissenschaft, murmelte ich vor mich
hin,' ein unnöthiges, eins von den vielen.
Draussen im Garten sprang die helle
Märzsonne über Busch und Beet. Nah
am Fenster stand ein junger Mandelbaum,
schon über und über mit blassrothen Blü-
then bedekt. Plötzlich ein Flötenton, lang-
gezogen — schlägt schon die Drossel?
Der Kranke regt sich. Ich fasste seine
Hand. Erschlug die Augen auf und blickte
fremd umher.
„Ludwig!“ rief ich unwillkürlich aus.^
„Mutter! Mutter! Du?“
Er wandte den Kopf zur Seite.
„Ich bin es, mein Freund, mein lieber
Freund!“
„Sie?“ — ein Erstaunen, ein Besinnen
und dann ein freudiges Zunicken.
„Ich hoffte, dass Sie kommen würden.“
Er wollte sich aufrichten, ich drückte
ihn sanft nieder.
„Nicht anstrengen, mein Lieber.“
„O, mir fehlt nichts. Ein bischen starke
Erkältung, die Bibliothek war so schlecht
geheizt. Nächste Woche reise ich ab, Sie
wissen, nach Mailand, da ist es wär-“
Ein hohles, kurz abgestossenes Hüsteln
schnitt ihm das Wort ab.
Er schloss die Augen wieder, ganz matt
und erschöpft, und der Kopf sank vom
Kissen herunter.
Ich wollte meine Hand aus der seinen
lösen, um ihn wieder bequemer zu betten.
Er hielt sie krampfhaft fest, riss die Augen
weit auf und stammelte mühsam:
„Nicht fortgehen, nicht fortgehen, sie
verstehen mich hier nicht, sie können kein
Deutsch, und es thut besser, als alle Me-
dicin, nur ein deutsches Wort zu hören.
O, nicht fortgehen!“
„Ich bleibe bei Ihnen, mein Freund, nur
ruhig sein, ich bleibe bei Ihnen.“
Er erwiderte nichts, aber ich fühlte
es am zitternden Druck seiner Hand, wie
er mir dankte.
Und ich blieb bei ihm die ganze Nacht.
Nch erzählte ihm von meiner Reise, ich
sprach zu ihm von dem kommenden Früh-
ling, von dem schönen warmen Italien, wo er
bald genesen werde und von dem Ruhm,
den ihm seine Entdeckung bringen müsse.
Er lauschte mit grossen gläubigen Augen.
Dann las ich ihm den Brief des
Schwesterchens vor.
Seine Miene wurde düsterer.
„Ich hätte ihr doch häufiger schreiben
sollen,“ seufzte er.
„Später, später.“
„Ja später vielleicht.“
Und er schloss die Augen, um eine
Weile zu ruhen.
Aber immer häufiger kamen die Husten-
anfälle, immer kürzer, hohlpfeifend ging
der Athem. Dann und wann setzte er ganz
aus, um auf Minuten wieder regelmässig
zu gehen. Wie Schatten und Lichter, wie
Kampf und Sieg zog es über das Gesicht
des Kranken. Unter der bleichen Stirn flu-
thete noch frisch das junge Leben und
rang heiss in Erinnerung und Hoffnung.
Einmal öffnete er die Lippen und mit
leiser Stimme, aber klar und deutlich klang
es: Alt Heidelberg, du feine-
Beim Morgengrauen packte ihn ein
langer krampfhafter Hustenanfall. Als er
endlich gewichen war, lag er regungslos da.
Pötzlich richtete er sich hoch auf. Das
starre Auge blickte suchend in die Ferne.
Er streckte beide Hände vor sich, als ob
er ein Buch halte und jubelnd rief er
aus: „Chanson de Roland ! Biblioteca Am-
brosiana —“
Dann sank er zurück und war todt.
Auf seinen Lippen lag das geheimniss-
volle Lächeln.
SÄrmdergknoh
jjlua ürm dämmtrkühlrn Lhalr
üjrbt lich eine dunkle tzanü
And ueriülcht die jfruermale
Du der hohen Krifrnwanü.
Kur ganz kern noch glüht rin Gipfel —
Kun erftirdt fein Leuchten auch,
hu der Lichen locker Wipfel
Mhrt der Ärrgr Schlummerhauch.
Linfam geh' ich durch das Schweigen — -
Ilt da nicht rin leifrr Schritt?
And ich thu' mich grüßend neigen,
And Kran Lrhnfncht wandert mit.
Franz Langheinrich.
NolkstßümliZe Reime
Don Maximilian Bern
Gar gute Bissen gibt's bei Hofe,
Doch muß man, um sie zu erringen,
Aecht oft wie ein dressirter Pudel
Zur Geberhand empor erst springen.
Mancher lang als Held erscheint,
Doch — gilt's erst den Rampf zu wagen
Trachtet er sofort den Feind
Hinter sich her rasch zu jagen.
Sehnst Du Dich, der Freiheit müde,
wirklich schon Dich zu vermählen,
Mußt Du einen schönen Galgen,
Dich daran zu hängen, wählen.
*
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Zeichnung %u „Bibliofcca Ambrosiana" von A. Jank (München).
nung, Abzehrung im höchsten Grade, jeden
Augenblick könne es zu Ende gehen. ^
Und dann sah ich ihn wieder.
Aus dem weissen Kissen lugte ein
schmales, bleiches Gesicht hervor, die
Augen lagen tief in den Höhlen und die
langen dunkelblonden Wimpern darüber —
es durchschauerte mich, ich musste un-
willkürlich an aufgeschaufelte Erde auf
einem schneebedeckten Friedhof denken.
Ich setzte mich leise an’s Bett. Er
schlief, sein Athem ging in kurzen Zügen.
Auf dem Nachttische lag ein Buch:
La Chanson de Roland, daneben ein un-
geöffneter Brief. Die Rückseite sagte mir,
dass er von seiner jüngsten Schwester sei.
Wuth und Ingrimm packte mich, wie
ich ihn so daliegen sah. Wieder ein Opfer
der Wissenschaft, murmelte ich vor mich
hin,' ein unnöthiges, eins von den vielen.
Draussen im Garten sprang die helle
Märzsonne über Busch und Beet. Nah
am Fenster stand ein junger Mandelbaum,
schon über und über mit blassrothen Blü-
then bedekt. Plötzlich ein Flötenton, lang-
gezogen — schlägt schon die Drossel?
Der Kranke regt sich. Ich fasste seine
Hand. Erschlug die Augen auf und blickte
fremd umher.
„Ludwig!“ rief ich unwillkürlich aus.^
„Mutter! Mutter! Du?“
Er wandte den Kopf zur Seite.
„Ich bin es, mein Freund, mein lieber
Freund!“
„Sie?“ — ein Erstaunen, ein Besinnen
und dann ein freudiges Zunicken.
„Ich hoffte, dass Sie kommen würden.“
Er wollte sich aufrichten, ich drückte
ihn sanft nieder.
„Nicht anstrengen, mein Lieber.“
„O, mir fehlt nichts. Ein bischen starke
Erkältung, die Bibliothek war so schlecht
geheizt. Nächste Woche reise ich ab, Sie
wissen, nach Mailand, da ist es wär-“
Ein hohles, kurz abgestossenes Hüsteln
schnitt ihm das Wort ab.
Er schloss die Augen wieder, ganz matt
und erschöpft, und der Kopf sank vom
Kissen herunter.
Ich wollte meine Hand aus der seinen
lösen, um ihn wieder bequemer zu betten.
Er hielt sie krampfhaft fest, riss die Augen
weit auf und stammelte mühsam:
„Nicht fortgehen, nicht fortgehen, sie
verstehen mich hier nicht, sie können kein
Deutsch, und es thut besser, als alle Me-
dicin, nur ein deutsches Wort zu hören.
O, nicht fortgehen!“
„Ich bleibe bei Ihnen, mein Freund, nur
ruhig sein, ich bleibe bei Ihnen.“
Er erwiderte nichts, aber ich fühlte
es am zitternden Druck seiner Hand, wie
er mir dankte.
Und ich blieb bei ihm die ganze Nacht.
Nch erzählte ihm von meiner Reise, ich
sprach zu ihm von dem kommenden Früh-
ling, von dem schönen warmen Italien, wo er
bald genesen werde und von dem Ruhm,
den ihm seine Entdeckung bringen müsse.
Er lauschte mit grossen gläubigen Augen.
Dann las ich ihm den Brief des
Schwesterchens vor.
Seine Miene wurde düsterer.
„Ich hätte ihr doch häufiger schreiben
sollen,“ seufzte er.
„Später, später.“
„Ja später vielleicht.“
Und er schloss die Augen, um eine
Weile zu ruhen.
Aber immer häufiger kamen die Husten-
anfälle, immer kürzer, hohlpfeifend ging
der Athem. Dann und wann setzte er ganz
aus, um auf Minuten wieder regelmässig
zu gehen. Wie Schatten und Lichter, wie
Kampf und Sieg zog es über das Gesicht
des Kranken. Unter der bleichen Stirn flu-
thete noch frisch das junge Leben und
rang heiss in Erinnerung und Hoffnung.
Einmal öffnete er die Lippen und mit
leiser Stimme, aber klar und deutlich klang
es: Alt Heidelberg, du feine-
Beim Morgengrauen packte ihn ein
langer krampfhafter Hustenanfall. Als er
endlich gewichen war, lag er regungslos da.
Pötzlich richtete er sich hoch auf. Das
starre Auge blickte suchend in die Ferne.
Er streckte beide Hände vor sich, als ob
er ein Buch halte und jubelnd rief er
aus: „Chanson de Roland ! Biblioteca Am-
brosiana —“
Dann sank er zurück und war todt.
Auf seinen Lippen lag das geheimniss-
volle Lächeln.
SÄrmdergknoh
jjlua ürm dämmtrkühlrn Lhalr
üjrbt lich eine dunkle tzanü
And ueriülcht die jfruermale
Du der hohen Krifrnwanü.
Kur ganz kern noch glüht rin Gipfel —
Kun erftirdt fein Leuchten auch,
hu der Lichen locker Wipfel
Mhrt der Ärrgr Schlummerhauch.
Linfam geh' ich durch das Schweigen — -
Ilt da nicht rin leifrr Schritt?
And ich thu' mich grüßend neigen,
And Kran Lrhnfncht wandert mit.
Franz Langheinrich.
NolkstßümliZe Reime
Don Maximilian Bern
Gar gute Bissen gibt's bei Hofe,
Doch muß man, um sie zu erringen,
Aecht oft wie ein dressirter Pudel
Zur Geberhand empor erst springen.
Mancher lang als Held erscheint,
Doch — gilt's erst den Rampf zu wagen
Trachtet er sofort den Feind
Hinter sich her rasch zu jagen.
Sehnst Du Dich, der Freiheit müde,
wirklich schon Dich zu vermählen,
Mußt Du einen schönen Galgen,
Dich daran zu hängen, wählen.
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