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Nr. 11

* JUGEND

18Ö7

mit bcnt Assessor! Und jetzt, wie ist mir eigent-
lich um's Herz? Liebe ich ihn? Ich glaube fast.
Und noch heute Morgen, konnte ich auf diese
Frage antworten: „Auf Ehrenwort, nein!" —
Gott, mein Gott, wie ist das nur gekommen?
Das; er mir die Kur schneidet, ist ja eine alte
Geschichte, die sogar Mama weih; vielleicht aber
nicht, dass er jedesmal zur Stelle ist, wenn sie
ihr Bad nimmt und ich sie auf der Promenade
erwarte. Dabei'hat er oft genug von Liebe ge-
sprochen — aber es war mir, wie wir im Institut
sagten, h öchst p omade! (Himmel, da ist mir
ein Ausdruck entschlüpft, der sich geradezu greu-
lich im Tagebuch einer jungen Dame ausnimmt!
Aber radirt man daran, gibt's gewöhnlich einen
grauen Klecks; so muh er stehen bleiben zu meiner
ewigen Schmach!) Er gefiel mir nämlich nicht,
der Assessor, aber auch gar nicht, die dämliche
plumpe Nase, dann sein brünettes Aeuhere —
Blond ist doch viel poetischer! — und sein groß-
mächtiger Bart war mir nun vollends unaus-
stehlich. Nie, nie werde ich einen Mann mit so
einem schrecklichen Bart heirathen! Ein kleiner
flott gewichster Schnurrbart und nicht mehr! —
Aber reden konnte er, sehr geistreich. Ich habe
noch nie französische Romane gelesen, Mama ist
so engherzig darin, allein so wie er müssen sich
die Helden ausdrücken. Und was sich nicht gut
sagen läht, sprechen seine Augen oder seine Hände-
drücke aus. Aufs Handdrücken versteht er sich
überhaupt in allen Variationen. Dah es so was
nur gibt! Heih und kalt kann einem dabei
werden.

Also seit , einer. Woche bettelt er um ein
Rendezvous; täglich um 3 Uhr erwartet er mich
am Buchenwäldchen hinter dem Kurhaus, und
ich kam nie. Wozu? Ich liebte ihn ja nicht,
und so mutterseelenallein sein mit ihm im halb-
dunklen Wald —ich weih schon, wie's da kommt.
Erst Händedrücke; dann, dann würde er mich
offenbar zu küssen versuchen mit seinem etlichen
Bart. — Ganz schrecklich denke ich mir das!

Heute tvar's nun sterbenslangweilig zu Haus
durch Mainäss Migräne, So schleuderte ich nach
Tisch ein wenig spazieren und stand auf einmal,
ich weih selbst nicht wie, vor dem Buchenwäld-
chen. Aber hinein ging ich nicht, gewiß nicht.
Was konnte ich dafür, dah er hinter mir wie
aus der Erde auslauchte und mir einen Spazier-
' gang vorschlug, nicht in den Wald, nein, da
wär' ich sicher nicht mitgegangen, aber nach der
Tarenhütte. Das ist ein hübscher Weg, den Berg
hinauf, freie Wiesen und heller Sonnenschein.

■ Aber die Straße war abscheulich steinig und er
kannte einen entzückenden Fußsteig dicht am
Bergrand, links der Abgrund mit dem tobenden
Wildwasser. Der Pfad war sehr schmal, ich
mußte seinen Arm nehmen, aber ich mochte ihn
nicht ansehen dabei. Er gefiel mir nun eben
kein bischen nicht! Ob er Gedanken lesen kann?
Denn plötzlich begann er: „Warum blickst Du
denn immer zur Seite, kleine Goldhexe?" Er
' dutzte mich auf einmal, ohne dah er mich um
Erlaubnih gefragt, und ich mochte ihn auch nicht
zur Rede stellen, weil mir ohnehin so komisch
genirt zu Muthe. „Willst Du mich denn gar
nicht ansehen?" — Ich schüttelte den Kopf. „Und
warum? Mißfällt Dir mein Aeußeres so sehr?"
Ich schwieg und sah zu Boden. Da blieb er
stehen, faßte meinen Kopf mit beiden Händen
und drehte ihn gewaltsam zu sich herum; ich
war so wüthend, daß mir die Thränen kamen;
aber er ließ nicht los, mein Kops steckte wie im
Schraubstock. „Lassen Sie mich loS, Sie abscheu-
licher Mensch", weinte ich, „ich kann Sie gar
nicht leiden. Nein, Sie gefallen mir auch wirklich
kein bischen, ich finde Sie häßlich, grundhäßlich !"
So rangen wir, er lächelnd, ich weinend, plötzlich
— mich schauert's noch, wenn ich d'ran denke! —
ein Geräusch, wie von fallenden Erdschollen, und
der Assessor war vor meinen Augen verschwunden.

Auf dem Platz, wo er gestanden, gähnte ein
Riß im Erdreich — Heiliger Gott, und d'runten
das reißende Wasser! Vorsichtig duckte ich mich
nieder, hinabschauend. Gott sei Dank, da lag
er, hart am Ufer, still und starr. Sollte er tobt
sein? Ganz rasend vor unendlicher Angst suchte
ich einen Weg hinab; Weg war's eigentlich nicht,
nur eine Rinne im Felsen. Aber halb rutschend
kam ich doch glücklich hinunter. Zuerst hatte ich
Furcht, ihn anzurühren. Wenn er tobt wäre!
Ich habe noch nie einen Todten berührt. Aber
dann kam mir mein Widerwille so läppisch vor;
er lebte gewiß und brauchte meine Hilfe. Also
fragte ich bebend: „Leben Sie noch, Herr
Assessor?"

Ein Gurgeln antwortete; er lag mit dem
Gesicht abgewandt. Mich überwindend, versuchte
ich es mir zuzukehren; aber meine Hände griffen
in warmes Blut. Entsetzt schrie ich — ja, ich
schrie laut auf, denn ich kann kein Blut sehen!
Nicht mal von einem Huhn oder Hasen — und
das gar war Menschenblut; o wie schauervoll!
Aber er litt offenbar und brauchte meine Hilfe.
Ich wagte also nochmal den Blick hin und be-
merkte, dah ihm das Blut über's ganze Gesicht
lief und ihn am Sehen und Sprechen hinderte.
Bumbsdich wurde ich ganz herzhaft; ich dachte
an den Samariter in der Bibel. „Warten Sie
ein klein wenig, ich bringe Wasser!" Ich fischte
seinen Hut auf, der nicht weit lag und schöpfte
damit ans dem Bach, tauchte mein Tuch ein und
wusch sein Gesicht. Ein bischen lang hat's ge-
dauert, weil meine Hand stark zitterte, ich bin
eben ein dummes Ding; aber endlich wich das
widerliche Zeug doch, obwohl ich mir beide
Hände über und über damit besudelt hatte;
jetzt achtete ich kaum mehr d'rauf. — Da sieht
man, bei allem in der Welt ist's nur der erste
Schreck, der erste Ekel — ein bischen guten
Willen und er weicht! Und nun sah ich auch
seine Wunden; ein großes Loch auf der Stirn,
aus dem Tropfen um Tropfen sickerte, die Nase
ganz blau gequetscht und über die Backe ein
paar tiefe Risse. Gottsjämmerlich sah er aus —
und sein erstes Wort war, als er den Mund
aufthnn konnte: „Ich bin wohl schön zerschunden,
und sehe jetzt noch viel häßlicher und lächer-
licher für Sie aus?" „Aber reden Sie doch
nicht davon!" erwiderteich. „Schnell Ihr Taschen-
tuch, wir müssen die Wunden verbinden! So,
■ das genügt für die Stirn — und doch nicht!

‘74

Sehen Sie, das Blut dringt schon wieder durch
— wo nehmen wir nur Leinwand her für ein
paar richtige Kompressen? Halt, ich hab's, mein
Unterrock —Und ganz ungenirt hob ich das
Kleid und zog den weißen Jnpon ab. Herrgott,
jetzt bei ruhiger Besinnung, wie schäme ich mich
vor ihm! Ob er wohl darauf acht gegeben? —
Also daraus machte ich Kompressen, immer
wieder frische. — Auf einmal war der Abend
da. Er hatte sich erholt und erhob sich. Er
fand sich sehr komisch mit den weißen Leinwand-
binden kreuzweis im Gesicht, allein mir kam
das gar nicht komisch vor — traurig sah er aus,
zum Erbarmen! Der arme Mensch! Er that
mir so furchtbar leid!

Doch er fing wieder an: „Wie häßlich müssen
Sie mich jetzt erst finden und späterhin mit der
geflickten Nase, denn ich habe mir wahrscheinlich
den Nasenknorpel gebrochen! Aber ich danke
Ihnen für Ihre grohmüthige Hilfe und ver-
zeihen Sie mein abscheuliches Betragen dort
oben!" — „Aber bitte, das macht ja gar nichts!"
beeilte ich mich, nur um ihm etwas Gutes zu
sagen. — Dann er: „Und wenn Sie erst wüßten,
was ich für schlechte Absichten hegte! Einen
Kuß wollte ich stehlen — doch das ist nun vor-
bei für heute und wohl für alle Zeit!" Es ging
wirklich nicht an heute mit seinem vermummten
Gesicht, das kaum die halbe Lippe frei ließ, sonst
hätte ich ihm auf der Stelle den Kuß gegeben,
ich von selbst — aus lauter Mitleid. Aber hier
schwöre ich mir's, wenn ich ihn wiedersehe und
er faßt abermals meinen Kopf in seine Hände,
nicht rühren und nicht mucksen will ich mich
mehr. Der arme, arme Mensch! — Am Wald-
rand, da wo wir uns vor Stunden trafen, er-
wartete er die von mir herausgeschickte Droschke;
dort schieden wir mit dem Versprechen, uns an
der Stelle zu treffen, sobald es sein Zustand er-
laubte. -Gott sei Dank, Manta schläft und

hat nichts gemertt. Ich meine, man müßte
mir's von der Stirn ablesen. Ich bin so un-
ruhig, mir fällt alle Augenblicke die Feder aus
der Hand. — _ Ist das die Liebe? Ich weiß
nicht: nur ich, dah er mir gar nicht mehr
häßlich scheint, blos höchst bedauernswerth und
daß es mir fast leid um den Kuß thut, den ich
nicht bekam."-

„So, Schluß für heute!" Damit klappte
Bertha ihr Album zu.

„O nein!" Hub Heinz an. Die Wolken des
Olympiers lagerten geheimnißvoll dräuend auf
seiner Stirn, auch war ihm die Cigarre längst
ausgegangen. „Ich mag die abgeschmackte Liebelei
bis zu Ende wissen."

„Abgeschmackt, bitte! Dein Herz hing sich
an einen blonden Zopf, meines an eine zer-
quetschte Nase. Jedenfalls habe ich das Apartere
gewählt und mich besser aus der Asfaire gezogen
als Du!"

„Es ist nicht das. Was geschah weiterhin?"

„Nach acht Tagen verfiel Mama plötzlich aus
unsere Abreise; die Luft bekam ihr nicht mehr.
Die gute schlaue Mama! Ich glaube, sie hat
doch was gemerkt. Aber die versprochne Zu-
sammenkunst hielt ich noch ehrlich ein. Der Assessor
sah wieder ziemlich heil aus, das heißt, die Nase
schien mir durch den Beinbruch ordentlich ver-
edelt, von römischem Schnitt, und die vernarbten
Schrammen fand ich auch äußerst interessant.
Kurzum, ich ließ ihm diesmal meinen Kopf und
muckste nicht."

„Wa—as?" Heinz fand kaum mehr Töne,
es erstickte ihn halb. „Du küßtest — und hast
den Muth mir dies einzugestehen — ?"

„Aber, ich bitte Dich, ein kleiner Kuß in allen
Ehren — und habe ich Dir die Küsse nachge-
rechnet, die Du im Leben vorehelich verausgabt?"

„Das ist was and'res,. ich bin ein Mann."

„Ra ja, aber zum Küssen brauchtest Du doch
weibliche Beihilfe. Nun sag 'mal, wie Ihr
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E. Munk: Kleine Zeichnung
 
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