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1897

JUGEND

Nr. 19

Noch ein wimmern — und nun schweigt's,
Licht und lichter stcigt's —

Gold'ne Locken seh' ich glimmen —

Weiße Glieder seh' ich schwimme»,

Frau Rautendlein kommt zum Licht!
Besser erst, sie sieht mich nicht!

Dorten aus dem Haselstrauch
Lausch' ich ihr und seh' sie auch!

Ad in den Hintergrund und wickelt sich eine Ligarette

Rautendelein

EtwnS molliger als im fünfte» Akt, setzt sich i» einem
sehr elegante» Schiafeock auf ei» eigens dazu mit-
gebrachtes Luftkissen an de» Lrunncnrand, brennt
sich die Haare und singt mir schmerzlichem Tremolo -

O Ieh! O Ich! O Iemineh!

Der Teufel hol' jede Versorgungseh'I
Mein Mann har Fischblut unter der Haut,
Und täglich gibt's Rresse und Löffelkraut
Und höchstens noch Froschlaich als Laviar!

Da drunten ist Alles so naß und kühl
Und gar nichts, gar nichts für's Gefühl!
Und schließlich hak man doch auch ein Herz—
O Heinrich, was war das für ein Schmerz,
Als Du in's Gras gebissen!

Drei Aepfel aß ich beim Hochzeirsdiner,
Mir thut noch heute der Magen weh,

Ich gab' was d'rum, wenn ich nur wüßt',
Was das mit den Aepfcln gewesen ist,
Dem weißen, dem gelben, dem rothen!

Drei Rüben wachsen auf nächtiger Au,
Grangegclb, lila und himmelblau —

Ich aß die blaue und wurde nerr,

Ich aß die lila und wurde fett,

Dann aß ich die gelbe Rübe!

Vom vegetarischen Standpunkt aus
War das ein ganz vernünftiger Schmaus —
Wo aber der Rüben Bedeutung liegt,
Das har noch Reiner herausgekricgr;

Die Sache ist äußerst dunkel!

Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer
Und außerdem ist es noch liebeleer,

Es hat gebrannt und die Gluth erlosch
Und jetzt gehört'« einem kalten Frosch —
Ich wollt', ich hätte 'ncn Hausfreund!

Waldschrat

springt vor; mit zierlicher Verbeugung
Ich wüßte Einen, der das gerne war'!

Raurendelein (kokcre)

Ei sieh! Herr Schrat! lNan sah Sie lang'

nicht mehr!

Ich bin erfreut — und denk', wir plaudern

eins,

Nehmt gütigst Platz am Rand des

Brunnensteins I
Rückt und macht ihm Platz

Waldschrat

von der Erlaubnis Gebrauch machend:
Sonah'an Euch? Das dürft' ichfrüher nie—

Rautendelein

Ich war ein Gänslein, ach, verzeihen Sie!
Waldschrat

Und Ihr Befinden, Frau Rautendelein?
Rautendelein

So so — la la — Es könnte besser sein!
Des aufsrufzend

Mir geht es just, wie's einer Gattin geht,
Die ihr Gemahl nicht würdigt, nichr versteht I

w a l d sch r a t (für sich)
potz Tausend! Eine unverstandnc Frau,
Da hat man Aussicht! — (Z» ihr) Ist er
wohl zu rauh?

Rautendelein

Das nicht, es möchr' ihm auch nicht wohl

bekommen,

Ich Hab' ihn nicht umsonst in Rurgenomnien l
Ach nein! phleginatisch ist er, indolent,
Har nicht für einen Groschen Temp'rament,
Er ist zu alt für mich, zu krag', zu kalt,
Und außerdem —bedenkt nur: Die Gestalt!
Ach! Heiße Blinkethränlein weine ich,
Denk' ich dabei an meinen Heinerich!

waldfchrat

Ja, der war freilich aus ganz andcrm

Holz!

lNir schien er allerdings ein wenig stolz,
Doch Hab' ich niemals jeinen Werth ver<

kannt!

Rautendelein

Und auch mein Leben ist so ennuyant!
Die Rüche find' ich monoton und schwer,
Dann fehlt'« an regem, geistigem Verkehr,
Mein Herr Gemahl, der Froschmensch,
plaudert nie

So amüsant, als wie zum Beispiel Sie!

Lehne schon ganz leise das ■gaupt an Waldschrats
Schulter

Waldschrat
(Für sich,

Sie geht ja selber mächtig in's Geschirr —
Ein bische» Rührung inacht sie völlig kirr! —
(o>> ihr)

Ach ja, Rautendelein, Ihr seid verwöhnt:
Ein Leben, nicht von Poesie verschönt,
Das ist wie eine Glocke, niemals läutend! —
Ihr Garre selig war wohl sehr bedeutend?

Rautendelein

Und ob! Ein echtes, goldnes Rünstler-

herz,

Es strebte stolzen Fluges himmelwärts!
waldschrak

Nach welchen Zielen, hochverehrte Frau?
Rautendelein

Das weiß ich freilich selber nicht genau.
Nur eins ist sicher, Heinrichs Ideal
war übermenschlich, herrlich, kolossal!

Er baute was auf jenem Berg, dem hoh'n,
Nicht Glockenspiel und nicht Grchestrio»,
Nicht Burg, nicht Ruche und auch nicht

Hotel,

Nicht Aussichtsrhurm, ach Gott, — wie
nenn' ich's schnell?

Und dann der Stil de« Etablissements,
Er war nicht gothisch und nicht Renaissance,
2luch nicht romanisch und auch nicht antik,
's war nicht Rasernc und auch nicht Fabrik,
Es war kein Lafshaus und auch kein

Chateau,

war nicht Barock und auch nicht Rokoko —
Von Allem etwas und von Allein nichts,
An Worten für so große Thar gebricht's!

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Bernhard Pankok: Zeichnung zum Gedicht "Die versunkene Glocke"
 
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