1897
JUGEND
Nr. 26
Lin neuer T
schlug, dann würde das Grossmaul schon
in den Schatten gestellt sein.
Der arme Onkel Rüben! Der arme
kleine Junge, der nur draussen auf dem
sonnigen Markte Kreisel gespielt hatte!
Nun sollte er erfahren, was es heisst, ein
grosser Mann zu sein. Eine Vogelscheuche
war er geworden, welche der Gegenwart
und Zukunft als Schreckbild hingestellt
wurde!
Es war draussen auf dem Lande bei
Onkel Ivan. Eine ganze Menge Cousinen
waren auf dem herrlichen Hofe versammelt.
Auch Axel ging da herum, von seinem
tiefen Hass gegen den grossen Onkel
Rüben erfüllt. Er hätte nur gern gewusst,
ob dieser auch Andere, als ihn, peinigte.
Aber etwas schreckte ihn davon ab, zu
fragen. Es war, als wenn er eine Gottes-
lästerung begehen sollte.
Endlich waren die Kinder allein. Kein
Erwachsener war zugegen. Da fragte Axel,
ob sie auch hätten von Onkel Rüben
reden hören?
Er sah, dass die Augen aufblitzten
und sich manche kleine Faust ballte, aber
es schien, dass die kleinen Mäulchen ge-
lernt hätten, Achtung vor Onkel Rüben
zu hegen.
„Still, in jedem Fall,“ sagte die ganze
Schaar.
sie Lust hatten. Er trieb sie vom Mittags-
schlaf auf der Wiese auf. Er hatte das
beste Versteck im Park entdeckt und dessen
Benutzung verboten. Ganz zuletzt hatte
er sogar begonnen, auf ungesattelten
Pferden zu reiten und auf Heuwagen zu
fahren.
Sie waren .alle darüber einig, dass
der arme Onkel nie älter als drei Jahre
geworden war. Und nun überfiel er grosse,
vierzehnjährige Jungen und behauptete,
er wäre in ihrem Alter. Das war das
Empörendste.
Unglaubliche Dinge kamen von ihm
an den Tag. Er hatte auf der Brücke ge-
angelt, er war mit einem kleinen Ruder-
kahn gefahren, war auf die Weide ge-
klettert, die über’s Wasser hinaushing und
auf der es so herrlich war zu sitzen, ja,
er hatte sogar auf Patronenhülsen gelegen
und geschlafen.
Aber alle waren sie überzeugt, dass
man sich gegen Onkel Rüben nicht auf-
lehnen könnte. . . .
Man sollte es kaum glauben, aber als
diese Kinder gross wurden und selbst
Kinder bekamen, begannen sie sogleieh
den Onkel Ruhen zu benutzen, wie es
ihre Eltern ihnen gegenüber gethan hatten.
Und ihre Kinder, d. h. die Jugend, die
jetzt heranwächst, hatte die Lection so
„Nein,“ rief Axel, „nun will ich wissen,
ob er noch andere quält, denn ich finde,
er ist der Unbequemste von allen Onkeln!“
Dieses muthige Wort brach den Damm,
der dem Zorn der gepeinigten Kinder-
herzen gesetzt war. Es entstand ein lautes
Durcheinanderschreien. So muss ein
Haufe Nihilisten aussehen, die den Selbst-
herrscher verlästern.
Nun wurde das Sündenregister des
grossen Mannes aufgestellt. Onkel Rüben
verfolgte all’ seine Neffen und Nichten.
Onkel Rüben starb, wo es ihm behagte.
Onkel Rüben war immer von demselben
Alter mit demjenigen, dessen Ruhe er
stören wollte.
Und Respect musste man vor ihm
haben, obgleich er ganz offenbar ein Lügner
war. Ihn aus innerster Herzenstiefe hassen,
das konnte man wohl, aber ihn übersehen
oder ihm Unehrerbietigkeit erweisen, nein,
das gab’s nicht!
Was für ein Gesicht die Alten machten,
wenn sie von ihm sprachen! Hatte er
denn jemals etwas so Merkwürdiges ge-
than? Sich hinzusetzen und zu sterben,
das war doch nicht so wunderbar? Und
wenn er auch etwas noch so Grosses voll-
bracht hatte, soviel war sicher, dass er
nun seine Macht missbrauchte. Er wider-
setzte sich den Kindern bei Allem, wozu
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Nr. 26
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schlug, dann würde das Grossmaul schon
in den Schatten gestellt sein.
Der arme Onkel Rüben! Der arme
kleine Junge, der nur draussen auf dem
sonnigen Markte Kreisel gespielt hatte!
Nun sollte er erfahren, was es heisst, ein
grosser Mann zu sein. Eine Vogelscheuche
war er geworden, welche der Gegenwart
und Zukunft als Schreckbild hingestellt
wurde!
Es war draussen auf dem Lande bei
Onkel Ivan. Eine ganze Menge Cousinen
waren auf dem herrlichen Hofe versammelt.
Auch Axel ging da herum, von seinem
tiefen Hass gegen den grossen Onkel
Rüben erfüllt. Er hätte nur gern gewusst,
ob dieser auch Andere, als ihn, peinigte.
Aber etwas schreckte ihn davon ab, zu
fragen. Es war, als wenn er eine Gottes-
lästerung begehen sollte.
Endlich waren die Kinder allein. Kein
Erwachsener war zugegen. Da fragte Axel,
ob sie auch hätten von Onkel Rüben
reden hören?
Er sah, dass die Augen aufblitzten
und sich manche kleine Faust ballte, aber
es schien, dass die kleinen Mäulchen ge-
lernt hätten, Achtung vor Onkel Rüben
zu hegen.
„Still, in jedem Fall,“ sagte die ganze
Schaar.
sie Lust hatten. Er trieb sie vom Mittags-
schlaf auf der Wiese auf. Er hatte das
beste Versteck im Park entdeckt und dessen
Benutzung verboten. Ganz zuletzt hatte
er sogar begonnen, auf ungesattelten
Pferden zu reiten und auf Heuwagen zu
fahren.
Sie waren .alle darüber einig, dass
der arme Onkel nie älter als drei Jahre
geworden war. Und nun überfiel er grosse,
vierzehnjährige Jungen und behauptete,
er wäre in ihrem Alter. Das war das
Empörendste.
Unglaubliche Dinge kamen von ihm
an den Tag. Er hatte auf der Brücke ge-
angelt, er war mit einem kleinen Ruder-
kahn gefahren, war auf die Weide ge-
klettert, die über’s Wasser hinaushing und
auf der es so herrlich war zu sitzen, ja,
er hatte sogar auf Patronenhülsen gelegen
und geschlafen.
Aber alle waren sie überzeugt, dass
man sich gegen Onkel Rüben nicht auf-
lehnen könnte. . . .
Man sollte es kaum glauben, aber als
diese Kinder gross wurden und selbst
Kinder bekamen, begannen sie sogleieh
den Onkel Ruhen zu benutzen, wie es
ihre Eltern ihnen gegenüber gethan hatten.
Und ihre Kinder, d. h. die Jugend, die
jetzt heranwächst, hatte die Lection so
„Nein,“ rief Axel, „nun will ich wissen,
ob er noch andere quält, denn ich finde,
er ist der Unbequemste von allen Onkeln!“
Dieses muthige Wort brach den Damm,
der dem Zorn der gepeinigten Kinder-
herzen gesetzt war. Es entstand ein lautes
Durcheinanderschreien. So muss ein
Haufe Nihilisten aussehen, die den Selbst-
herrscher verlästern.
Nun wurde das Sündenregister des
grossen Mannes aufgestellt. Onkel Rüben
verfolgte all’ seine Neffen und Nichten.
Onkel Rüben starb, wo es ihm behagte.
Onkel Rüben war immer von demselben
Alter mit demjenigen, dessen Ruhe er
stören wollte.
Und Respect musste man vor ihm
haben, obgleich er ganz offenbar ein Lügner
war. Ihn aus innerster Herzenstiefe hassen,
das konnte man wohl, aber ihn übersehen
oder ihm Unehrerbietigkeit erweisen, nein,
das gab’s nicht!
Was für ein Gesicht die Alten machten,
wenn sie von ihm sprachen! Hatte er
denn jemals etwas so Merkwürdiges ge-
than? Sich hinzusetzen und zu sterben,
das war doch nicht so wunderbar? Und
wenn er auch etwas noch so Grosses voll-
bracht hatte, soviel war sicher, dass er
nun seine Macht missbrauchte. Er wider-
setzte sich den Kindern bei Allem, wozu
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