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Nr. 9

1902

. JUGEND .

Hndere Zeiten!

Diom spricht:

Linst kehrt' er selber bei mir ein,
Und heute kommt er nur als Stein.
Linst war's ein veritabler Goethe
Und heut' — verzeiht mir! Ich

erröthe —

Lin veritabler Lb er lein! Puck

U n r u h e ist des Bürgers erste Pflicht!

Bei Berathung des Justizetats wurde im
preußischen Abgeordnetenhause der Fall er-
wähnt, daß ein Frau ksurter.i! aus mann
66 Stunden im Gesängniß vergessen
war. Der Minister sprach zwar sein Be-
dauern aus, erklärte aber, der junge Mann
trage größtentheils selb st die Schuld,
da er sich nicht genügend bemerkbar
gemacht habe.

Trotzdem das Lärmen in den Gefängnissen
eigentlich strengstens untersagt ist, empfehlen
wir also unseren verehelichen Mitbürgern,
sich vor ihrer Einlieferung mit einer Anzahl
von englischen Doggen, Revolver-
kanonen und Nebelhörnern zu ver-
sehen, um durch Hnndegebell, sowie fortgesetz-
tes Abgeben von Schreckschüssen und Roth-
signalen die „schlafende Gerechtigkeit"
eventuell aufrütteln zu können. 8t.

Htfred Herr

schreibt in der „Neuen Deutschen Rundschau":
„Er (Wedekind) zeigt der sittlichen Welt
den nackten Podex. Wir setzen ein Diadem
darauf; denn sein Haupt ist hier." —
Wenn der Stil ist, wie der Mensch, so
muß Alsr. Kerr ein reizender Mensch sein!

Oertel's Klage

(Der Rcichstagsabgeordnete Ocrtel trägt
gewöhnlich eine weiße Weste.)

Weiße Weste, die mich schmückte.
Fahre wohl, du schimmernd Kleid!

Was sich für die Freude schickte,

Schickt sich nicht mehr für das Leid.

Fahre wohl, du schöne, seiche!

Ach, ich hatte sogar zwei!

War die eine in der Wäsche,

War die andere doch frei.

Fahret wohl, ihr beiden Westen!
Traurig sag' ich euch ade.

Ach, ihr wart vom allerbesten,

Feinste» englischen Piquö.

Was wir forderten von Bülow,

War wahrhaftig nur ein Quark.

Welch ein Zoll! Für hundert Kilo
Sieben eine halbe Mark!

Weh, ich Aermster muß nun darben
Darben bis zum letzten Hauch.

Drum in dunkle Tranerfarben
Hüll' ich künftig meinen Bauch.

Schwarze Westen will ich tragen,

Bis ein andrer Wind einst weht,

Bis man einst in schöner» Tagen
Uns den Roggcnzoll erhöht.

Sollt' ich aber vorher sterben
An des Herzens bittrem Weh,

Dann soll Engen Richter erben
Meine Westen, weiß wie Schnee.

Ach, an meinem offnen Grabe
Schluchzt er dann in tiefem Leid:

„Habe Dank für Deine Gabe!

Schade, daß sie mir zu weit."

Frido

Vittorio Güllner (München)

Plastik

„Scharfrichter“ und „Ueberbrettldame“

«in Duett

Er:

Weißt Du, wie's um uns gestanden,

Als es in den deutschen Landen
Noch kein Ueberbrettl gab;

Als wir, singend zum Klaviere,

Wauderten von Schmier' zu Schmiere —
Lorbeerbaum und Bettelstab?

Sie:

Der Direktor sproch voll Grimme:
„Liebes Fräulein, Ihre Stimme
Ist so dünn wie die Figur.

Und sodann vor alle» Dingen,

Kind, Sie können gar nicht singen —

's ist die Stimme der Natur I"

Er:

Und zu mir daun: „Beim Theater
Macht der Bauch den Heldenvater,

Lieber Freund, noch lauge nicht.

Eh' Sie sich bei mir erfrechen,

Lernen Sie erst richtig sprechen,

Wie's des Mimen erste Pflicht!"

Ach! Wie flehten da wir Armen
Auf zum Himmel um Erbarmen,

Bis uns der Erlöser kam.

Der erfand das Ueberbrettel
Und warf all den Bühnenbettel
Lächelnd flugs zum alten Kram.

Heil ihm, der die Welt bekehrte
Und die Stummen reden lehrte
Ohne viel Verlust an Zeit!

Was soll all das Einstndiren,

Stimme bilden, dcklamiren?

Alles ist Persönlichkeit!

Der römtscke Hjax

Dem römischen Thierarzt und früheren Unker-
richtsminister Baccelli, der durch Sublimat-Injektionen
bei Viehseuchen das Vieh vergiftet hat und sich da-
für als Wunderdoktor feiern läßt, wird in Rom eine
Ehrentafel gestiftet.

Als der berühmte Ajax geistumnachtet

Das Vieh der Griechen mit dem Schwert geschlachtet,

Da gab er sich verzweifelt selbst den Tod.

Doch als durch Herrn Baccellis wunderknren
Die römischen Rinder in den Hades fuhren,

Da pries ganz Rom den Retter in der Roth.
Und das mit 'Recht. Denn jeder weise liebt
Den Mann, der unermüdlich Tag und Nacht
Darüber nachgedacht, wie man es macht,

Daß es auf Erden weniger Gchsengibt!

Die Lage in Oesterreich

Die Ehristlichsocialen verleumden, dieS'.o-
cialdemokraten schimpfen, die Alldeutschen
streiten, die Tschechen schachern, die polen füllen
sich ihre Säcke, die Elerikalen fischen im Trüben.
Und die Regierung? Die läßt schießen und ver-
kündet das Standrecht.

Die Versöhnung kann somit nicht mehr ferne
sein! Kurnonal

Die Zolltarif-Commission

Der Herr von Aardorff wollte sich ergrimmen,
weil Einer allzu oft den Schnabel wetzt'.

Da haben sie ihn, ohne abzustimmen,

Selbst von der Tagesordnung abgesetzt.

*

Und wieder tagen sie, doch wett' ich,

Das viele Reden schadet nur dem Hals,
was nützt der allerschönste Rettich, —

Fehlt es den hochverehrten Herrn an Salz?

CrI-Cri

Immer im Dienst

Leutnant (Nachts angesäuselt vom Königs
platz in die Sicges-Allee einbiegend):

„Stilljestanden! Augennn liuksl"

Hn Maria von Magdala

Dem Direktor des Lessingtheaters theilte das Ber-
liner Polizeipräsidium mit, daß die Aufführung von
Paul Heyse's Drama „Maria von Magdala"
verboten sei.

was weinst Du, schöne Sünderin?

Die Pharisäer sind heute
Im allerchristlichstcu Berlin
Noch ganz dieselben Leute,

Die sie vor zyoo Jahren
Im alten Ieruschalaim waren,
wie würden sie sittlich sich empören,

Müßten sie im Theater hören,
wie Lhristus Dir das Trostwort gibt:

„Auch Du, mein Rind, wirst ewig leben.
Denn wer so viel, wie Du, geliebt,

Dem wird auch viel vergeben!" «. 8>.

Zum bayer. Schuldotationsgesetz

„Es ist doch seltsam genug, daß der Mann,
der am Hofe die Pferde zureitet, Tausende von
Thalern zur Besoldung hat; und die, die dem-
selben die Unterthanen zureiten, die Schul-
meister, hungern müssen."

(Lichtenberg, Bem. verm. Inh. XV).

Kneissl’s letzter Stossseufjer

Mich quälte niemals ein Gewissensbiß.

Ich stahl und mordete — das ist gewiß.

Doch that ich leider alles eigenhändig,

Und das, verehrter, war sehr unverständig.

G wär' ich doch als Aufsichtsrath geboren,
Dann hätt' ich sicher nicht den Ropf verloren!

Tarub

Wespe
Register
Cri-Cri: Die Zolltarif-Commission
Cri-Cri: Der römische Ajax
Vittorio Güttner: Kleinplastik "Scharfrichter" und "Überbrettldame"
Frido: Oertel's Klage
Tarub: Kneissl's letzter Stoßseufzer
E. St. [1]: An Maria von Magdala
Kurwenal: Die Lage in Österreich
Si.: Unruhe ist des Bürgers erste Pflicht!
Puck: Andere Zeiten!
Wespe: "Scharfrichter" und "Überbrettldame"
[nicht signierter Beitrag]: Alfred Kerr
[nicht signierter Beitrag]: Immer im Dienst
[nicht signierter Beitrag]: Zum bayerischen Schuldotationsgesetz
 
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