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Nr. 17

1902

JUGEND

Seelen

yt ommt in meine Dämmerstunde
■*»' Eine schlanke Wohlgestalt,

Rührt an kaum vernarbte Wunde,

Und es öffnet sich der Spalt,

Läßt ein Tröpfchen Blut entquellen,
Das sie mit der weißen Hand
Auffängr, eh es mit dem hellen
Purpur färbt ihr leicht Gewand.

Laß mich, spricht sie, diesen Tropfen
Trinken, da die Seit vorbei,
wo mir Deines Herzens Rlopfen
Sagte, daß ich lieb Dir fei;

Jetzt in dieser späten Stunde
Fühl ich nach, was Du gefühlt,

Als Dir Deine Liebeswunde
Meine Liebe nicht gekühlt

Aber nun durch meine Adern
Dieser rothe Tropfen rinnt,

Darfst mit mir nicht länger hadern,
Daß Du unerhört geminiit.

Sieh, ein pulsschlag Deines Lebens
Ging hinüber nun in meins,

Und Du liebtest nicht vergebens,

Bin ein Theil nun Deines Seins.

wenn sich unsre Wege meiden,

Und wie auch das Loos uns fällt,
Gleiches lebe nun in uns Beiden,

Das uns Herz an Herzen hält.

Reine Rüffe, keine Schwüre
Habe» jemals uns vereint,

Nur dies Tröpfchen, das ich spüre,
wie'» durch meine Adern weint.

Gustav falke

Sasubrina

Von Maxim Gorki)

.... Das runde Fenster meiner Zelle ging auf den
Gefängnißhof hinaus. Es mar sehr hoch angebracht;
doch brauchte man nur den Tisch an die Wand zu
rücken und sich darauf zu stellen, um Alles zu sehen,
was auf dem Hofe vorging, lieber meinem Fenster,
unterm Dach, nisteten Tauben, und jedesmal, wenn
ich in den Hof hinunterschaute, hörte ich ihr freund-
liches Girren...

Ich hatte hinreichend Zeit, um von meinem Stand-
ort aus die Insassen des Gefängnisses kennen zu lernen,
und ich wußte, daß der lustigste Mensch inmitten der
mürrischen, grauen Bevölkerung Sasubrina hieß. Es
war dies ein stämmiger, dicker Kerl mit rothem Ge-
sicht, hoher Stirn und großen, stets lebhaft bewegten,
Hellen und blitzenden Angen. Die Mütze saß ihm
immer im Nacken: die Ohren, im Verein mit dem
glattrasirten Schädel, boten einen einigermaßen komi-
schen Anblick dar. Die Bänder an seinem Hemdkragen
hingen stets ungeknüpft herunter; ebensowenig pflegte
er seine Jacke zuzuknöpfen, und eine jede Bewegung
seiner Muskeln schien von einer Seele Kunde zu geben,
der Grillenfangen und Erbitterung unbekannte Dinge
waren.

Immer lachenden Mundes, lebhaft und laut, war
er der Abgott des Gefängnisses und jederzeit von einer
Schaar seiner grauen Gefährten umgeben, die er durch
allerhand komische Auftritte und Einfälle ergötzte und
zerstreute. Und seine von Herzen komniende Fröhlich-
keit breitete einen farbigen Schimmer über ihr trübes
und ödes Dasein...

P Pliegner 'Hanau)

So erschien er einmal mit drei Ratten auf
dem Hof, die er in Stricke eingeschirrt hatte. Er
lief hinter ihnen her und schrie, daß er in einem
Dreigespann fahre; die Ratten, durch das Ge-
schrei ganz wild und toll gemacht, warfen sich
nach allen Seiten, während die Zuschauer-
Arrestanten sich wie Kinder freuten.

Sasubrina war offenbar der Meinung, daß
er ausschließlich zur Erheiterung seiner Mit-
menschen da sei, und um diesen Zweck zu er-
reichen, war ihm nichts zu gering und verächt-
lich. Manchmal äußerte sich seine Ersindungs-
kraft auch in recht grausamer Weise. So pappte
er einmal, mittels irgend eines klebrigen Zeugs,
einem jugendlichen Arrestanten, der auf dem
Hof hockte und eingeschlafen war, das Haar
au die Mauer fest. Dann weckte er ihn plötzlich
auf. Der Knabe fuhr rasch in die Höhe, griff
mit seinen dünnen, mageren Armen nach dem
Kopf und fiel weinend zur Erde. Die Arrestanten
wieherten, und Sasubrina war zufrieden. Später
indessen suchte er den Knaben, der einen ganz
gehörigen Büschel an der Wand gelassen hatte,
durch freundliche Worte wieder zu versöhnen...

Nun gab es aber, außer Sasubrina, noch
einen andern Günstling im Gefängniß: das
war ein rother, wohlgenährter junger Kater,
ein von Allen verwöhntes, stets zu Spiel auf-
gelegtes, kleines Geschöpf. Jedes Mal, wenn
die Arrestanten zu ihrem Spaziergang auf den
Hof geführt wurden, suchten sie den Kater auf
und trieben allerlei Kurzweil mit ihm: sie ließen
ihn von Hand zu Hand wandern, liefen hinter
ihm her und hatten nichts dagegen, wenn er
ihnen Gesicht und Hände zerkratzte...

Hatte der kleine Kater den Schauplatz be-
treten, so war die allgemeine Aufmerksamkeit
von Sasubrina abgelenkt, und es war unmög-
lich, daß sich dieser mit einer solchen Zurücksetzung zu-
frieden gegeben hätte: Sasubrina war eine Künsterseele
und somit ungemein ehrliebend. Jedes Mal, wenn sei»
Publikum sich mit dem Kater abgab, blieb er allein,
suchte irgend ein verborgenes Plätzchen auf und folgte
mit den Blicken seinen Kameraden, für die er in jenen
Augenblicken nicht zu existiren schien. Ich aber ließ
meinerseits Sasubrina nicht ans den Augen und em-
pfand Alles, was seine Seele erfüllte...

Da, einmal, an einem klaren, sonnigen Tage, als
die Arrestanten wieder aus ihren Zellen auf den Hof
hinausgeströmt waren, fiel Sasubrinas Blick auf einen
Eimer mit grüner Farbe, der in einer Ecke des Hofes
stand; Maler, die mit dem Anstreichen des Dache»
beschäftigt waren, hatten ihn dort zurückgelassen. Sa-
subrina schritt auf den Eimer zu und sann ein Weilchen
nach; dann tauchte er einen Finger in die grüne Maffe
und — färbte sich seinen Schnurrbart. Der grüne
Schnurrbart in dem hochrothen Gesicht rief ein all-
gemeines Gelächter hervor. Ein halbwüchsiger Bursche,
dem Sasubrinas Idee besonders gefiel, machte sich
gleichfalls daran, seine Oberlippe mit der grünen Farbe
zu bestreichen; da ließ aber Sasubrina plötzlich seine
Hand in den Eimer hinab und fuhr damit dem Jungen
auf dem ganzen Gesicht herum. Dieser pustete und
schnaubte und schüttelte den Kopf, Sasubrina führte
einen Tanz um ihn auf, und das Publikum lachte
aus vollem Halse und lohnte seine» Spaßmacher mit
Beifallsrufen...

Gerade in jenem Augenblicke erschien der kleine rothe
Kater auf dem Hof. Langsam und würdevoll kam er
dahergeschritteu, indem er graziös die Pfötchen hob und
den nach oben gerichteten Schwanz hin und her bewegte.

„Brüder!" rief Einer zu, „Mischka ist dal" — „Ah
— der Spitzbube Mischka!" — „Seht doch nur, wie
er sich wieder vollgefressen hat!" Und — der Kater

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Register
Gustav Falke: Seelen
P. Fliegner: Zierleiste
Maxim Gorki: Sasubrina
 
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