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1902

JUGEND

Nr. 21

Gedanken

Vergessen wir nicht täglich
siebzig mal siebenmal in unsrer
ganzen Verbot- und Gesetzes-
ci/rigkeit bei der Jugend- und
jvienschenerziehung, dass wir
den bester) Oieil unsrer Lu-
gendbeulen und -Schwielen nur
durch Ablaufen unserer Xa-
sterhörner gewonnen haben ?
Vie kommen wir also zu unsern
raschen und harten Qrtheilen
und strengen .Zumuthungen an
die Heranwachsenden, zu un-
serm Stirnrunzeln, V^op/- und
Faustschütteln, Pellen, Hassen
und Verachten? „€s ist eine
pummheit,“ wird eine spätere
€rziehung zum Schüler sagen,
„aber Pu wirst sie erkennen,
wenn Pu sie gethan hast, also
thu sie! -- €s ist etwas
Schlechtes und wird pich an
Xeib und Seele elend machen;
aber Pu wirst es versuchen
müssen, um darüber hinweg-
zukommen; also thu es!"

Vollte ich — wozu der
denkende Mensch nur zu leicht
geführt und verführt wird —
die Veit nur mit dem geistigen
/uge betrachten, so zersetzte
sie sich unaufhaltsam, wie
mit der schärfsten Säure über-
gossen, und nichts bliebe von
all ihren Herrlichkeiten übrig,
als ein chaotischer prei von
Atomen und ein unsinniger
Virrwarr mechanischer und
chemischer Spielkräfte. Vas
aber hält sie zusammen in
ihrer wunderbaren Schönheit
und Grösse, wenn nicht — o
ihr Idealisten! — der Xeib,
der verachtete Xeib, der sie
mit entzückten — also ge-
täuschten I — Sinnen beschaut.
€r macht das plau des Him-
mels, die rosigen Volken, die
Pracht des feuers, den .Zauber
des Vassers, die Farben und
den puft der pflanzen, die
bizarren Formen der päume
und Perge, die Tausche der
Lonwelt, kurz all das, wo
das geistige )\uge nur An-
häufungen von H und O und
N und C, und Öxydations-
vorgänge und Vellenschwing-
ungen erblickt. F^ilich ge-
hört Geist zum Xeibe, um allen
diesen Schein zur Schönheit
zu erheben, aber er muss an
sein Instrument glauben, und
es lieben, wie der Geiger seine
Geige; er muss seine Seele
hineinlegen und sie nicht dar-
aus verdrängen, wie es diese
unglücklichen Stirnen thun, die
ihren so verödeten und ent-
wurzelten Geist zwingen, seine
Saiten in einer leeren Veit zu
streichen, wo jeder l^lang ver-
hallt, jeder Farbenton erloschen
oder — Sünde geworden ist.

Zeno

6it1 Schatten Alfred Zimmermann (München)

Mas flackerst Du, o junges Licht? Da kaum zum Leben Du erwacht,

Dein flämmchen geht zur JVelge. Da kommt er schon verstohlen.

Siehst Du den schwarzen Schatten nicht? Der nlmmersatte Sohn der JVacht,

Lösch' aus, lösch' aus und schwelge! Dich wieder abzuholen. K. Kt.
Register
Alfred Zimmermann: Zeichnung zum Gedicht "Ein Schatten"
E. St. [1]: Ein Schatten
Zeno: Gedanken
 
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