Nr. 25
JUGEND
19C2
Sie ging ihm nicht entgegen — sie schlug nur ihre
großen, traurigen Augen nieder; dann reichte sic ihm
eine ihrer kühlen, schmalen Hände, deren bloße Be-
rührung ihn halb toll machen konnte. Und sie dachte:
„In Gottesnamen, — Ich werde ihn wohl nehmen,"
Das Frühstück war vorüber. Diane hatte sich
herbeigelassen, fast allein das Wort zu führen. Sie
verstand ausgezeichnet zu sprechen, immer neue,
originelle Wendungen zu gebrauchen und eigen-
artige, überraschende Epitheta zu finden. Sie war
überhaupt blendend, verwirrend, nicht zu fassen.
Er hing wie gebannt an ihren Lippen, ganz be-
nommen von glühender Bewunderung, obschon er
das Meiste, was sie sagte, nicht recht verstand.
Als sie von Tische ausstanden, dekretirte sie: „Nun
werde ich Ihnen unfern Marsfeld-Salon zeigen!"
Etwas Anderes hätte man auch nicht gut unter-
nehmen können: es war schon spät in der Saison,
und außer ihm hatte alle Welt die Ausstellung längst
gesehen.
Nach dreiviertel Stunden erschien sie wieder. Sie
brauchte lange zum Ankleiden, aber ihre Toiletten
waren ausgemachte Kunstwerke, Ein „Genie an
Geschmack" hatte sie einer ihrer näheren Freunde
gelegentlich genannt.
Diesmal trug sie eiu Kleid von hellgrauem Crepe
de Chine, das in weichen Falten ihre Füße umfloß,
wie die Gewänder aus den Bildern von Burne Jones
— es sah aus, als sei sie ganz in seinen, grauen
Staub gehüllt. An der Kragenpartie, die den langen,
schlanken Hals umschloß, waren kleine Brillanten in
das Kleid eingarnirt. Auf dem goldig flimmernden
Haar saß ein Hauch von duftigem Tüll, aus dem
zwei weiße Pfauenfedern aufwärts ragten,
„Wie entzückend Sie sind!" murmelte er unwill-
kürlich.
Sie lächelte flüchtig, aber gütig, und reichte ihm
die Fingerspitzen, die er ehrfurchtsvoll an, die Lippen
führte. Bei dieser Berührung empfand sie'zum ersten
Male etwas wie einen leichten Schauer von Lust,
unter dem sie zusammenzuckte.
Es lag beinahe ein Ausdruck von Zärtlichkeit
in dem Blick, der jetzt dem seinigen begegnete, so
B I TT G A N G
daß er blaß wurde und in dem Ueberschwall eines
ungeheuren Glücksgefühls eine Sekunde lang den
Athem zu verlieren glaubte.
Ganz demüthig, nur mit einem Zittern verhaltener
Leidenschaft in seiner warmen, sympathischen Stim-
me, fragte er dann: „Möchten Sie nicht jetzt ,, .
über mein Schicksal entscheiden?"
Ein Anflug von Wärme klang aus ihrer Antwort:
„Doch, lieber Freund, — nun sollen Sie bald
meine Antwort haben — vielleicht heute noch."
„O — Diane...
Er brachte nichts weiter hervor, fast erstickt vor
Freude,
„Aber jetzt kommen Sie," fuhr sie in heiterem
Tone fort, — „nun wollen wir uns Bilder besehen!"
Sie stiegen die Treppe zum Salon des Champs
de Mars hinauf und durchschritten rasch die ersten
Säle, denn Diane wollte ihn gleich zu ihren Lieb-
lingsbildern führen. *
Sie ging ein wenig voraus, schlank und hoch,
und das blaßgraue Kleid, das sie umrieselte, gab
ihrer Erscheinung etwas Unwirkliches, Schwebendes.
Er folgte ihr, aus dem Arm die kostbare weiße
Echarpe, die ihm anvertraut worden war.
Ab und zu blieb er ivohl auch einen Augenblick
vor einem der Bilder stehen, wobei es fatalerweise
immer gerade die mittelniäßigsten Gemälde waren,
deren banales und untergeordnetes Sujet ihn anzog.
Daun ging Diane noch etwas rascher, schon ein
wenig nervös, denn sie wollte nichts bemerken,
gerade heute nicht, , wo sie so ausnahmsweise gut
auf ihn zu sprechen war.
Sie hatte Eile, zu ihren Lieblingen zu kommen,
überzeugt, daß der Zauber dieser wunderbaren Werke
auch ihn hinreißett und in seinen Bann zwingen
werde.
Nun hielt sie stille.
Auf der rechten Seite der Wand sah man, ganz
in der Ecke einer großen Leinwand, eine schöne,
alte Dame in edler, hochausgerichteter Haltung,
lieber der ganzen Gestalt lag ein Ausdruck von
Trauer und Stolz, von schwerem, aber siegreich über-
wundenem Leid. Ihr dunkles Kleid hob sich von
Hans Rossmann (München)
der fahlgelben Farbe der Zimmerwand ab, an der
nichts zu sehen war, als eine mit schwachen Linien
angedeutete Thüre,
Noch eigenartiger, aber und geheimnißvoller wirkte
das zur Linken hängende Bild,
Eine junge weibliche Gestalt scheint eben aus
dem Rahmen herauszutreten; sie steht schon dicht
am äußersten Rande, Aber bevor sie weiterschreitet,
wendet sie den Kops zurück, einen entzückenden, durch
Leiden vergeistigten Kopf,
Und sie ist blaß, die seltsame Dame in Grün,
blaß mit märchenhaft rothem Haar, das ihr in's
Gesicht fällt, und hoch und biegsam von Gestalt,
Ein so unwahrscheinliches Grün trägt dieses Kleid,
ein glanzloses, überschleiertcs Grün!
Bleich ist sie und schön zum Weinen, bleich von
den unausgesprochenen Dingen, die sie gesehen hat,
die Niemand weiß — Dinge, die ein tiefes Schwei-
gen deckt.
In diesem Augenblick ist alles wie erstarrt an
ihr. Nur ihre Augen, ihre räthselhasten, unruhe-
vollen Augen scheinen zu leben und von entsetzlichen
Wirkliä)keiten, von unsagbaren Verlusten zu erzählen.
Sie fallen uns an, sie verfolgen uns, diese geängstig-
ten, bangen, vom Schlaf geflohenen Augen,,.
Das Bild wirkt drückend und aufregend, wie
eine Phantasie von Edgar Allan Poe.
Und zwischen den beiden Frauen, der alten und
der jungen, hängt daS Bild eines Kindes, eines
schwächlichen kleinen Mädchens, in einem Kleidchen
von trübgelber Farbe.
Man sieht nur seine Augen, seine großen, schreck-
haft weit geöffneten Kinderaugen, Eine Welt von
Anklagen liegt in diesem übergroßen Blick — von
stummen Anklagen wider das furchtbare Gesetz der
Vererbung — ein Ausdruck, wie der in den Augen
der Dame in Grün. Und die Verwandtschaft dieser
beiden Wesen drängt sich als Gewißheit auf: bei
Beiden das schreckenvolle Hellsehen des Todgeweihtem
Man fühlt es, daß dieses Kind niemals den Frie-
den des gesunden Schlafes finden soll. Die ganze
srühreife Qual des Wissenden lebt in seinen Augen;
— sie haben unverstandene Dinge verstanden und
scheinen hinauszuschreien: ,Never more, never more!,
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Sie ging ihm nicht entgegen — sie schlug nur ihre
großen, traurigen Augen nieder; dann reichte sic ihm
eine ihrer kühlen, schmalen Hände, deren bloße Be-
rührung ihn halb toll machen konnte. Und sie dachte:
„In Gottesnamen, — Ich werde ihn wohl nehmen,"
Das Frühstück war vorüber. Diane hatte sich
herbeigelassen, fast allein das Wort zu führen. Sie
verstand ausgezeichnet zu sprechen, immer neue,
originelle Wendungen zu gebrauchen und eigen-
artige, überraschende Epitheta zu finden. Sie war
überhaupt blendend, verwirrend, nicht zu fassen.
Er hing wie gebannt an ihren Lippen, ganz be-
nommen von glühender Bewunderung, obschon er
das Meiste, was sie sagte, nicht recht verstand.
Als sie von Tische ausstanden, dekretirte sie: „Nun
werde ich Ihnen unfern Marsfeld-Salon zeigen!"
Etwas Anderes hätte man auch nicht gut unter-
nehmen können: es war schon spät in der Saison,
und außer ihm hatte alle Welt die Ausstellung längst
gesehen.
Nach dreiviertel Stunden erschien sie wieder. Sie
brauchte lange zum Ankleiden, aber ihre Toiletten
waren ausgemachte Kunstwerke, Ein „Genie an
Geschmack" hatte sie einer ihrer näheren Freunde
gelegentlich genannt.
Diesmal trug sie eiu Kleid von hellgrauem Crepe
de Chine, das in weichen Falten ihre Füße umfloß,
wie die Gewänder aus den Bildern von Burne Jones
— es sah aus, als sei sie ganz in seinen, grauen
Staub gehüllt. An der Kragenpartie, die den langen,
schlanken Hals umschloß, waren kleine Brillanten in
das Kleid eingarnirt. Auf dem goldig flimmernden
Haar saß ein Hauch von duftigem Tüll, aus dem
zwei weiße Pfauenfedern aufwärts ragten,
„Wie entzückend Sie sind!" murmelte er unwill-
kürlich.
Sie lächelte flüchtig, aber gütig, und reichte ihm
die Fingerspitzen, die er ehrfurchtsvoll an, die Lippen
führte. Bei dieser Berührung empfand sie'zum ersten
Male etwas wie einen leichten Schauer von Lust,
unter dem sie zusammenzuckte.
Es lag beinahe ein Ausdruck von Zärtlichkeit
in dem Blick, der jetzt dem seinigen begegnete, so
B I TT G A N G
daß er blaß wurde und in dem Ueberschwall eines
ungeheuren Glücksgefühls eine Sekunde lang den
Athem zu verlieren glaubte.
Ganz demüthig, nur mit einem Zittern verhaltener
Leidenschaft in seiner warmen, sympathischen Stim-
me, fragte er dann: „Möchten Sie nicht jetzt ,, .
über mein Schicksal entscheiden?"
Ein Anflug von Wärme klang aus ihrer Antwort:
„Doch, lieber Freund, — nun sollen Sie bald
meine Antwort haben — vielleicht heute noch."
„O — Diane...
Er brachte nichts weiter hervor, fast erstickt vor
Freude,
„Aber jetzt kommen Sie," fuhr sie in heiterem
Tone fort, — „nun wollen wir uns Bilder besehen!"
Sie stiegen die Treppe zum Salon des Champs
de Mars hinauf und durchschritten rasch die ersten
Säle, denn Diane wollte ihn gleich zu ihren Lieb-
lingsbildern führen. *
Sie ging ein wenig voraus, schlank und hoch,
und das blaßgraue Kleid, das sie umrieselte, gab
ihrer Erscheinung etwas Unwirkliches, Schwebendes.
Er folgte ihr, aus dem Arm die kostbare weiße
Echarpe, die ihm anvertraut worden war.
Ab und zu blieb er ivohl auch einen Augenblick
vor einem der Bilder stehen, wobei es fatalerweise
immer gerade die mittelniäßigsten Gemälde waren,
deren banales und untergeordnetes Sujet ihn anzog.
Daun ging Diane noch etwas rascher, schon ein
wenig nervös, denn sie wollte nichts bemerken,
gerade heute nicht, , wo sie so ausnahmsweise gut
auf ihn zu sprechen war.
Sie hatte Eile, zu ihren Lieblingen zu kommen,
überzeugt, daß der Zauber dieser wunderbaren Werke
auch ihn hinreißett und in seinen Bann zwingen
werde.
Nun hielt sie stille.
Auf der rechten Seite der Wand sah man, ganz
in der Ecke einer großen Leinwand, eine schöne,
alte Dame in edler, hochausgerichteter Haltung,
lieber der ganzen Gestalt lag ein Ausdruck von
Trauer und Stolz, von schwerem, aber siegreich über-
wundenem Leid. Ihr dunkles Kleid hob sich von
Hans Rossmann (München)
der fahlgelben Farbe der Zimmerwand ab, an der
nichts zu sehen war, als eine mit schwachen Linien
angedeutete Thüre,
Noch eigenartiger, aber und geheimnißvoller wirkte
das zur Linken hängende Bild,
Eine junge weibliche Gestalt scheint eben aus
dem Rahmen herauszutreten; sie steht schon dicht
am äußersten Rande, Aber bevor sie weiterschreitet,
wendet sie den Kops zurück, einen entzückenden, durch
Leiden vergeistigten Kopf,
Und sie ist blaß, die seltsame Dame in Grün,
blaß mit märchenhaft rothem Haar, das ihr in's
Gesicht fällt, und hoch und biegsam von Gestalt,
Ein so unwahrscheinliches Grün trägt dieses Kleid,
ein glanzloses, überschleiertcs Grün!
Bleich ist sie und schön zum Weinen, bleich von
den unausgesprochenen Dingen, die sie gesehen hat,
die Niemand weiß — Dinge, die ein tiefes Schwei-
gen deckt.
In diesem Augenblick ist alles wie erstarrt an
ihr. Nur ihre Augen, ihre räthselhasten, unruhe-
vollen Augen scheinen zu leben und von entsetzlichen
Wirkliä)keiten, von unsagbaren Verlusten zu erzählen.
Sie fallen uns an, sie verfolgen uns, diese geängstig-
ten, bangen, vom Schlaf geflohenen Augen,,.
Das Bild wirkt drückend und aufregend, wie
eine Phantasie von Edgar Allan Poe.
Und zwischen den beiden Frauen, der alten und
der jungen, hängt daS Bild eines Kindes, eines
schwächlichen kleinen Mädchens, in einem Kleidchen
von trübgelber Farbe.
Man sieht nur seine Augen, seine großen, schreck-
haft weit geöffneten Kinderaugen, Eine Welt von
Anklagen liegt in diesem übergroßen Blick — von
stummen Anklagen wider das furchtbare Gesetz der
Vererbung — ein Ausdruck, wie der in den Augen
der Dame in Grün. Und die Verwandtschaft dieser
beiden Wesen drängt sich als Gewißheit auf: bei
Beiden das schreckenvolle Hellsehen des Todgeweihtem
Man fühlt es, daß dieses Kind niemals den Frie-
den des gesunden Schlafes finden soll. Die ganze
srühreife Qual des Wissenden lebt in seinen Augen;
— sie haben unverstandene Dinge verstanden und
scheinen hinauszuschreien: ,Never more, never more!,
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