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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 14.1909, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (Segantini-Museums-No.)
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Finessen

Adieu, geliebte Fürsten!

Ich sitze im Restaurant; gleichgültig, in
welchem, jedenfalls im Restaurant und nicht in
der Kneipe, Spelunke, Bierstall oder Kantine.

Links am Nebentische weiß mit gelb, ver-
blüht, groschenzählend. Ganz erfüllt von Ge-
danken an ein zukünftiges trautes Heim; der
olle, ehrliche Seemann an ihrer Seite ist nur
der Herr Papa.

Vis-ä-vis lila, gleißend, sektsehnend. Jeden
Schluck Mumm, Cordon rouge, den ich nehme,
neidet sie. Ihr Begleiter trinkt Schorle-Morle,

30 Pfennig!-Den Blick kenne ich! Eine

Stunde später sitzt sie gewiß oben im Cafe und
wartet auf mich.-

Scheußlich, viel Häßlichere habe ich nicht
warten lassen, und ausgesucht heute muß ich
Schluß machen!

Wie früher in den goldenen Jahren greife
ich mechanisch in meine Westentasche: Die letzte
Doppelkrone.

Einst hatte sie lustige Gefährten! Sie spiel-
ten zusammen, sie ulkten, wer wohl jetzt dran-
käme, — raus aus dem Kongreß in der Westen-
tasche.

Ich betrachte das Geldstück. Irgend ein
Fürst, der mich nicht kennt, ist darauf abge-
bildet, mag er dahingehen! „Ich habe Deines-
gleichen nie gehaßt", nein, wahrlich nicht, aber
ich habe Euch auch nie geliebt und ängstlich
behütet. Ihr wäret mir nur gerade recht, um
mit Eurem goldigen Lächeln die Sehnsucht zu
stillen.

Früher hatte ich Euch alle in der Tasche.
Zehn, nein hundert, Tausende von Euch dien-
ten mir.

Und mein Vater hatte noch viel mehr. Es
muß eine Titanenarbeit gewesen sein, Eure
harten Köpfe zusammenzubringen!

Ich probierte dasselbe linksherum, indem
ich Euch ausgab. Ihm bliebt Ihr treu, mich
habt Ihr verlassen! Keiner kehrte zurück.

Und wenn ich jetzt alle Kräfte anspanne,
wenn ich Steine klopfe oder Stiefel putze, dann
zwinge ich wöchentlich höchstens einen von Euch
in meine Tasche. Ich, der klotzige, kräftige
Kerl!

Glaubt mir, verehrte Fürsten, heute ist es
mir fatal, in welche Gesellschaft ich Euch ge-
bracht habe, und gern holte ich Euch wieder
zurück. Leichtsinnig habe ich Euch durch alle
Fenster hinausgeworfen.

Unten in Genf, bei lockendem Vollmond-
schein, ging der erste von Euch flöten. Er soll
nicht jammern, ich habe selbst ja viel mehr da-
bei verloren!!

Alle eingebildeten Toren waren hinter der
Frau her; meine lachende Jugend bot ihr mehr.
„Dich habe ich lieb", sagte sie leise und half
mir, das glitzernde Gold in Seligkeit umzu-
setzen.

Die hat mich geliebt. Donnerwetter, glaubt
es! Ich verstehe doch heute etwas von dem
Weiberkram!-

Dann das blonde Mariechen in Bremen.

Sie wohnte irgendwo ganz draußen, und
abends aßen wir in allen möglichen, verschwie-
genen Kellern zusammen unser Beefsteak. Heine,
Schiller und Goethe nahmen an den Nacht-
mahlen teil.

Ich Esel gab die Sache auf, weil zu viel
Tränen die Zwischenpausen verlängerten. Das
Coda blieb ungespielt.-

Die schwedische Nachtigall vom Variöte in
Amsterdam war ergiebiger. Kinder, was mag
mich die auch gekostet haben!

Hellblond und eisig sah das Mädel aus,
aber der Sekt stand auf unserem Bett-Tisch;
einer Nachtigall muß man zu trinken geben!

Jede Nacht schlürfte sie das feurige Zeug,
und dann trällerte sie den Mann halbverrückt.

Kalt ist das Gold in England. Herzlos
sind die Frauen. Kein Vollmond, kein Dichter,
kein Gesang.

Sie war verheiratet; alter Mann, junge
Frau, noch ältere Geschichte.

In der Eisenbahn hat sie mich überrumpelt.
Schmachvoll, schändlich, nicht wahr?

Die Fürstenbilder glitten schnell durch ihre
Hand, oft zehn, zwanzig auf einmal; nur mich
selbst wollte sie behalten. Ihre Körper-Konsti-
tution erforderte mich. Da bekam ich das
Grauen.

Far well, England! Dein Gold ist voll-
wichtig, und Deine Frauen sind schön! Auch
das tägliche Insulanerbad hat seine Vorzüge.
Aber ich bin kein Sportartikel zur Leibes-Er-
frischung! Der Dichter des Asra stammte aus
Deutschland, das liegt uns ewig in den Glie-
dern. —

Kleine, zierliche Französin, Du hast mich
geheilt von dieser kältenden Douche! In Dir
paarte sich südliche Glut, Frohsinn und Pikan-
terie mit der herrlichen Gabe des Gemütes.

Wie edel ging das republikanische Gold
durch Deine süßen, kleinen Hände! Zwölf
reine, kostbare Wachskerzen opfertest Du am
Altäre der Heiligsten, als uns die Trennungs-
stunde schlug.

Unter Glockenläuten und Weihrauchduft
betete Dein warmes, dankbares Herz für den
Freund, der auf ewig von Dir ging.-

Und doch, wie bald habe ich Dich vergessen!

Welt, Kirche, Tränen und alles, was lebt,
ging unter beim feurigen Lieben der Tänzerin
in Sevilla.

»Pot flores“, lächelte sie, als ich ihr das
erste Goldstück zuwarf. Kaum zu einer Rose
langte es für sie. Ihre Glieder waren ein
Gebet der Natur; ich gab mehr, immer mehr.

Alle Potentaten in ihrem goldenen Glanze
hätte ich gern für dieses Weib geopfert! Dann
war ich einige Jahre früher fertig, was machte
mir das?

Pöbelhaft, daß ich entfloh, nur, weil ich
merkte, daß auch andere gern Caviar essen. —

Auf Carmen folgte die Polin, die vielge-
priesene, dann die Ungarin, die fernab vom
Wege der Entzauberung harrt. In allen Län-
dern, in allen Zonen halfen mir Kaiser und
Könige mit ihrem harten Goldbilde die Freude
kaufen!

Doch das Schönste im Freudengarten fand
ich zuletzt.

An der glitzernden Fläche des Sees, mitten
im Hochgebirge, zur Zeit der wollüstigen Som-
merdüfte, da erkannte ich die Wienerin.

Das ist das hehre, erfahrene Weib, die
wahre Priesterin der Liebe! Kindlich lächelt
ihr Mund, königlich ist ihr Gang, mutterliebend

Der Genußmensch w lvrain

„welche Staatsform halten Sie für die
bessere, — die republikanische, oder die mo-
narchische?"

„Unterhaltender ist jedenfalls die
letztere!"

wandelt sie dahin, und man ist ein Gott an
ihrer Brust.

Bei ihr war ich wunschlos glücklich, einmal,
nur einmal im ganzen Leben!-—-

Und nun fahrt hin, alle Wünsche! Das
Gold ist zerronnen.

Fahrt wohl, Ihr innigstgeliebten Fürsten,
den letzten von Euch habe ich jetzt klein, so
klein, gemacht!

Ihr gabt mir goldenen Wein und himm-
lische Musik, die schönsten Frauen des Erden-
runds führtet Ihr in meine Arme, Ihr wäret
mir untertan. Mehr kann ich nicht verlangen;
Habet Dank, innigen Dank des Gesättigten.

Und auf Wiedersehen! Auf respektvolleres
Wiedersehen, wenn ich mit eigener, schwerer
Arbeit Euer goldiges Lächeln verdient habe.

Nachtlicht

Sterben

Kracht der Topf in Scherben,

Fliegt er auf den Dung.

Menschlein, du mußt sterben,

Bist du noch so jung.

Blumen müssen welken,

Und die Kuh verreckt,

Die wir heut noch melken,

Daß der Eimer leckt.

Steine selbst zerfallen,

Länderspur verwischt.

Ton und Klang Verhallen,

Und das Licht erlischt.

Welten gehn in Stücke
Ohne Rest und Spur.

Ewig lebt die Tücke,

Lebt das Unheil nur.

Erich Mühsam

Liebe Jugencl!

In Wien waren einmal zwei Pferde auffallend
unregelmäßig gelaufen. Beide gehörten einem
Herrn — man nannte ihn nicht mit Unrecht
den Baron Haut-gout.

Eine Kommission des Iockeyklubs, die derartige
Dinge zu überwachen hat, stellte Untersuchungen
an auf Doping — unerlaubte Injektion.

Die Affäre endete mit einer glänzenden Re-
Habilitierung Haut-gouts.

Er hatte die ganze Kommission gedopingt.

*

In Nizza lebte ein polnisches Ehepaar auf
die einfachste Manier der Welt: sie gab sich für
eine Gräfin aus und suchte Bekanntschaften mit
vornehmen Fremden.

hierauf ertappten der Herr Graf seine unge-
treue Gattin in üagravü, rollten die Augen, fuch-
telten mit einem Revolver, und dann — dann
erfolgte eben Barregulierung der Beziehungen.

Ganz Nizza wußte das — Einheimische und
Stammgäste.

Stanislaus Kosenzy aus Warschau ließ sich
trotzdem mit der Gräfin ein. Er nannte sich
dabei Baron Ostrow.

Er kriegte ein Rendezvous für drei Uhr.

Ging aber eine Viertelstunde früher hin.

Zehn Minuten nach drei tauchte der Graf
auf — mit dem Revolver natürlich.

„Herr Graf," sagte Stanislaus, „Sie kommen
etwas zu spät. Und außerdem: bin ich Ihr
Landsmann und ebenfalls von Beruf Hochstapler."

Roda Roda

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Register
Roda Roda: Liebe Jugend!
Erich Mühsam: Sterben
Willibald Krain: Der Genußmensch
Nachtlicht: Finessen
 
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