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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 34.1929, (Nr. 1-52)

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„Ich habe auch Verabredungen leider", hatte
er gesagt. Eö verdroß ihn, daß diese Frage
unversehens zum zweiten Male in anderer
Verbindung austauchte, er hatte sie doch eben
abgetan. Aber er schämte -sich trotz seines
Unmutes darüber. Keine gute Antwort wußte
er, keine Antwort, die alles abschloß, gewisser-
maßen zudeckte, endgültig erledigte. Allein,
war eS nicht Furcht gewesen? erinnerte er
sich plötzlich. Ja, eS war wohl eine Furcht
gewesen, eine bleiche Furcht davor: mehr noch
in ein fremdes Leben zu gleiten.

Schade bei allem — bedauerlich, ein un-
würdiges Versäumnis. Jetzt wußte er jede
Situation, die ihm entgangen war.

An der Landungsbrücke, zum Beispiel,
hätte er gestanden; wenig Leute wären,
nebenbei, im Hafen gewesen, verwunderlich
wenig Leute. Eine Sirene heulte, schrill
gellte eine Glocke, he, kam er nun endlich?
Eine Rauchfahne dahinten ... diese kleine
Rauchfahne am Horizont, der so zerrissen
war und kaum erkennbar in dem schwanken-
den Wald der Masten. Das würde das
Schiff sein, weiß und rot, so müßte der
Dampfer auösehen, weiß und rot, und aber-
mals an seinen Planken der ungeheure, der
unendliche Glanz des Meeres. An der
Reling stand Leonid offenbar schon... er

winkte... sein Tuch flatterte... der Wind
faßte eS... Wunder, er trug es fort, es
schaukelte ein bißchen, es tanzte und klatschte
dann hörbar fast in das Wasser.. . Schar-
ren der Ketten, Rufe und Tumult nun,
Tumult, Lärm also, Geschrei — das würde
alles vorübergehen, Leonids Erscheinung
würde eS überbieten, Leonid, Bruder Leonid,

Ingenieur aus Amerika....

* * «-

Leonid war da — soeben war er ge-
kommen.

„Wider Erwarten", glaubte sich Rene
entschuldigen zu müssen. „Sonst freilich
hätte ich dich abgeholt..."

„DaS ist ohne Bedeutung", sagte der
Heimgekehrte. Er fände es vielmehr beson-
ders klug und rücksichtsvoll, daß nian >ihm
Zeit gelassen hätte, sich wieder einzuordnen
in seine alte Stadt. Wirklich, das fände er
besonders fein gehandelt. Er hätte sich ge-
freut, sagte er, es wäre auf keinen Fall
eine Entschuldigung nötig, nein, wozu....
Ferner, wenn Rene doch Verabredungen
gehabt hätte. . . Und er sprach unvermittelt
von ganz anderem.

„Eine Sportgruppe Habt ihr — eine
Studentensportgruppe, der vergeistigte Sport
demnach, nicht wahr? ... Es wird doch neu

allerlanden, auch hier", versuchte er zu
scherzen, „allerorten, auch hier, Rene.
Überhaupt — aber das müßt ihr doch selber
empfinden, ihr habt doch heutzutage eine
völlig andere Art von Leben, eine bizarre
Art von gesteigertem Leben."

Er wurde wieder ernst und voll Distanz,
in einer dozierenden Weise, die Rene pikierte.
„Wir hatten damals nur ein Surrogat,
gleichsam ein totes Leben", fügte Leonid
noch hinzu. —

Schon nach den ersten Worten wußte
Rene, daß er sich nicht geirrt hatte: Leonid
war wie früher. „Rene", sagte er jetzt,
„Rene" — man brauchte nicht hinzusehen,
jede Geste erkannte man wieder, jede Geste,
mit der er seine Worte begleitete. So etwa
bei „Rene" — unmerklich würde er die
rechte Seite des Mundes heben, unmerklich,
einzig der aufmerksamsten Beobachtung un-
verborgen. Oder, wie er bieder die Stirne
kraus zog, unnatürlich ernsthaft, viel zu
häufig geschah eS, so hatte er eS im Grunde
schon immer getan. Schön — und Renö

vergaß schnell die geringe Verstimmung ...

* «°

Es war natürlich, es war selbstverständlich,
daß sich die Aufmerksamkeit der Mutter
auch nach der Begrüßung zumeist oder allein
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Heinrich Schröder: Auf der Themse
 
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