Die Gemnlde der Caridad.
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Man muß doch gestehen: unverschleierte Wahrheit von Elend und Schwärmerei
ist hier mit Elementen des Schönen verschmolzen. Nicht bloß in den drei anmutigen
Damen, in dem Aufbau der Gruppe, dem verschiedentlich abgestusten Licht. Wie anders
würde diese Geschichte wirken im dumpfen Krankensaale statt unter diesen hohen Hallen,
deren Flächen und Durchblick sast die Hälfte der Leinwand aussüllen. Murillo besaß
keine gewöhnliche Fertigkeit in der Prospektzeichnung und er hatte ein sehr bestimmtes
Stilbekenntnis. Sein Geschmack ist vornehm nnd der Ornamentik abgewandt, nicht bloß
der schwülsügen des Barockstils, den er damals gerade in den Kirchen der Vaterstadt auf-
kommen sah. Aber man kann schmucklos sein, ohne so flach und trocken zu werden, wie das
spanische Cinqueccnto des Herrera. Sein ckssorllaniaiituäo ist stets heiter nnd erhebend.
Alles ist weiträumig, hochstrebend, luftig: offene Hallen mit Söllern, weite Höfe nnd
Plätze, stark ausladende Gesimse, Dockenbrüstungen, alles in tadellosen Verhältnissen.
Von welchem Gesichtspunkt ans man diese Folge betrachtet, stofflich oder künst-
lerisch, man erkennt ein wohl durchdachtes Ganze, alle Teile dem Ausdruck einer reli-
giösen Jdee dienend, aber ausgeführt nach dem Grundsatz steten Wechsels, wie eine für
dcn verwöhntesten Geschmack ausgewählte Galerie.
Wenn eine Fürstin neuerer Zeit, die an einem verworsenen Hofe, unberührt von
dessen Verderbnis, ihr Leben verbrachte, gesagt: „Einer ist des andern Teufel in dieser
Wclt", so sehen wir hier die Landgräfin des Mittelalters handeln in dem Glauben, daß
Gott sich in Gestalt der Elenden und Enterbten die niedrigsten Dienste erweisen lassen
will. Wir sollen sehen, daß er in obdachloscn Wanderern an unsere Thür klopft (Nbra-
ham), seinc Boten uns auf einsam finsterm Pfade begleiten (Juan de Dios), ja daß wir
selbst, die armen Gefangenen besuchend, zu himmlischen Boten werden (Petrus). Die
Rcligionsstifter gehen voran, als die wahren Helfer für die Not des Volkes.
Jn den Altarbildern cröffnct sich die unverschleierte Wirklichkeit der „Plagen, die
unsres Fleisches Erbteil". Jn den Wandbildern werden wir dem Gebiet der Naturgesetze
entrückt. Wir betreten das Neich des Wunderbaren, aber das äußerliche Wunder ver-
schwindet vor dem Wnndcr thätiger Menschenliebe und Vergebung. Caritas — von
der allegorisirenden Plastck in derselbcn Kirche nnter dem Bild der Frnchtbarkcit wun-
dcrlich versinnbildlicht — ist die Triebfeder aller, unerlernt, unwiderstehlich, wcltlichc
Vorurteile und fleischliche Schwäche überwindend, so mächtig, daß auch ihre Kraft, in die
Kette der Naturursachen einzugreifen, nicht befremdet.
Obwohl der Maler in die Heroenzeit der Religionsgründung und noch höher
hinaus in die Tage zurückgeht, wo die Unsterblichen bei den Kindern der Menschen ein-
kehrten, so hat er doch nirgends den sogenannten hohen Stil der Historienmalerei ge-
wühlt. Auch die Thatcn heiliger Schwärmcrei sind ganz alltäglich, idhllisch, spanisch erzählt.
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Man muß doch gestehen: unverschleierte Wahrheit von Elend und Schwärmerei
ist hier mit Elementen des Schönen verschmolzen. Nicht bloß in den drei anmutigen
Damen, in dem Aufbau der Gruppe, dem verschiedentlich abgestusten Licht. Wie anders
würde diese Geschichte wirken im dumpfen Krankensaale statt unter diesen hohen Hallen,
deren Flächen und Durchblick sast die Hälfte der Leinwand aussüllen. Murillo besaß
keine gewöhnliche Fertigkeit in der Prospektzeichnung und er hatte ein sehr bestimmtes
Stilbekenntnis. Sein Geschmack ist vornehm nnd der Ornamentik abgewandt, nicht bloß
der schwülsügen des Barockstils, den er damals gerade in den Kirchen der Vaterstadt auf-
kommen sah. Aber man kann schmucklos sein, ohne so flach und trocken zu werden, wie das
spanische Cinqueccnto des Herrera. Sein ckssorllaniaiituäo ist stets heiter nnd erhebend.
Alles ist weiträumig, hochstrebend, luftig: offene Hallen mit Söllern, weite Höfe nnd
Plätze, stark ausladende Gesimse, Dockenbrüstungen, alles in tadellosen Verhältnissen.
Von welchem Gesichtspunkt ans man diese Folge betrachtet, stofflich oder künst-
lerisch, man erkennt ein wohl durchdachtes Ganze, alle Teile dem Ausdruck einer reli-
giösen Jdee dienend, aber ausgeführt nach dem Grundsatz steten Wechsels, wie eine für
dcn verwöhntesten Geschmack ausgewählte Galerie.
Wenn eine Fürstin neuerer Zeit, die an einem verworsenen Hofe, unberührt von
dessen Verderbnis, ihr Leben verbrachte, gesagt: „Einer ist des andern Teufel in dieser
Wclt", so sehen wir hier die Landgräfin des Mittelalters handeln in dem Glauben, daß
Gott sich in Gestalt der Elenden und Enterbten die niedrigsten Dienste erweisen lassen
will. Wir sollen sehen, daß er in obdachloscn Wanderern an unsere Thür klopft (Nbra-
ham), seinc Boten uns auf einsam finsterm Pfade begleiten (Juan de Dios), ja daß wir
selbst, die armen Gefangenen besuchend, zu himmlischen Boten werden (Petrus). Die
Rcligionsstifter gehen voran, als die wahren Helfer für die Not des Volkes.
Jn den Altarbildern cröffnct sich die unverschleierte Wirklichkeit der „Plagen, die
unsres Fleisches Erbteil". Jn den Wandbildern werden wir dem Gebiet der Naturgesetze
entrückt. Wir betreten das Neich des Wunderbaren, aber das äußerliche Wunder ver-
schwindet vor dem Wnndcr thätiger Menschenliebe und Vergebung. Caritas — von
der allegorisirenden Plastck in derselbcn Kirche nnter dem Bild der Frnchtbarkcit wun-
dcrlich versinnbildlicht — ist die Triebfeder aller, unerlernt, unwiderstehlich, wcltlichc
Vorurteile und fleischliche Schwäche überwindend, so mächtig, daß auch ihre Kraft, in die
Kette der Naturursachen einzugreifen, nicht befremdet.
Obwohl der Maler in die Heroenzeit der Religionsgründung und noch höher
hinaus in die Tage zurückgeht, wo die Unsterblichen bei den Kindern der Menschen ein-
kehrten, so hat er doch nirgends den sogenannten hohen Stil der Historienmalerei ge-
wühlt. Auch die Thatcn heiliger Schwärmcrei sind ganz alltäglich, idhllisch, spanisch erzählt.