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II. Zur Kunstauffassung der Antiquare:
"Concilier les monumens avec l'histoire"1
Winckelmann gilt anerkanntermaßen als Vater der Archäologie und Begründer
der Kunstwissenschaft. Seine Methode der wissenschaftlichen Betrachtung und
Beschreibung von Werken der bildenden Kunst gewann er auch in Auseinanderset-
zung mit Altertumsforschern, die sich wie er darum bemühten, die materiellen Über-
reste vor allem der ägyptischen, etruskischen und griechisch-römischen Zeit als Aus-
druck der jeweils herrschenden Denk- und Lebensweise zu erklären.
Ausgehend von den antiken Schriftquellen orientiert sich die Methode der Alter-
tumsforscher zunächst an der klassischen Philogie, korrigiert und ergänzt diese. Ana-
log zur Untersuchung der antiken Schriften, ihrer Anfänge und der Tradierung ihrer
Inhalte, untersuchen die Altertumsforscher den historischen Beginn, die Entwicklung
und Tradierung der, im griechischen Sinne, technisch-künstlerischen Ausdrucksfor-
men, die sie chronologisch ordnen, klassifizieren, typologisch und stilistisch
vergleichen. Sie bilden damit allmählich die Forschungsprinzipien der Kunstwissen-
schaft aus, indem sie den Gegenstandsbereich Kunst bestimmen und eingrenzen, die
Kunstwerke empirisch untersuchen, kunstkritische Begriffe bilden, historische
Zusammenhänge herstellen und die antiken Sachüberreste insgesamt zu historischen
Quellen aufwerten, sie als historische Quelle auswerten.
1 Le Comte de Caylus, Recueil d'Antiquites Egyptiennes, Etrusques, Grecques et Romaines, Bd. 1,
Paris 1752, Avertissement S. iij.
Professor Peter Anselm Riedl merkt zu diesem Kapitel über die Vorläufer Winckelmanns in seinem
Gutachten folgendes an: Der Erkundungsradius müßte dadurch etwas vergrößert werden, "daß
auch die archäologischen Bemühungen im Umkreis der sogenannten Riforma cattolica in die
Betrachtung einbezogen werden. Um 1600 betrieben hohe römische Klerikerkreise eine Form der
christlichen Archäologie, die zumindest protowissenschaftliche Züge trägt. Die Grabungs- und
Katalogisierungsarbeiten unter der Ägide einiger Kardinäle (Sfondrato, Baronio u.a.) und unter der
Leitung fähiger Gelehrter (vgl. Antonio Bosios "Roma sotteranea", Rom 1632) waren zwar gegenre-
formatorisch-legitimatorischen Zwecken untergeordnet, zeugen aber zugleich von einem antiquari-
schen Interesse und einer historischen Gründlichkeit, die sich nicht auf kirchliche Selbsbestätigungs-
sucht reduzieren lassen." Die Vorgänger Winckelmanns haben "von diesen römischen Aktivitäten
am Vorabend das Barock" profitiert." Außerdem scheint es [...] beachtenswert, daß Winckelmann
von geistlichen Gönnern getragen wurde, die sich ihrerseits als Nachfahren der Wissenschaftsmä-
zene der Riforma cattolica verstehen lassen." Vgl. dazu auch: Forschungen zur Villa Albani: Antike
Kunst und die Epoche der Aufklärung, hrsg. von H. Beck und P.C. Bol, Berlin 1982; zum Stand der
Archäologie im 17. Jahrhundert vgl.: Gerald Heres, Archäologie im 17. Jahrhundert, in: Archäolo-
gie zur Zeit Winckelmanns, Eine Aufsatzsammlung hrsg. von M. Kunze, Stendal 1975 S. 9-39
(= Beiträge der Winckelmanngesellschaft Stendal, Bd 2).
II. Zur Kunstauffassung der Antiquare:
"Concilier les monumens avec l'histoire"1
Winckelmann gilt anerkanntermaßen als Vater der Archäologie und Begründer
der Kunstwissenschaft. Seine Methode der wissenschaftlichen Betrachtung und
Beschreibung von Werken der bildenden Kunst gewann er auch in Auseinanderset-
zung mit Altertumsforschern, die sich wie er darum bemühten, die materiellen Über-
reste vor allem der ägyptischen, etruskischen und griechisch-römischen Zeit als Aus-
druck der jeweils herrschenden Denk- und Lebensweise zu erklären.
Ausgehend von den antiken Schriftquellen orientiert sich die Methode der Alter-
tumsforscher zunächst an der klassischen Philogie, korrigiert und ergänzt diese. Ana-
log zur Untersuchung der antiken Schriften, ihrer Anfänge und der Tradierung ihrer
Inhalte, untersuchen die Altertumsforscher den historischen Beginn, die Entwicklung
und Tradierung der, im griechischen Sinne, technisch-künstlerischen Ausdrucksfor-
men, die sie chronologisch ordnen, klassifizieren, typologisch und stilistisch
vergleichen. Sie bilden damit allmählich die Forschungsprinzipien der Kunstwissen-
schaft aus, indem sie den Gegenstandsbereich Kunst bestimmen und eingrenzen, die
Kunstwerke empirisch untersuchen, kunstkritische Begriffe bilden, historische
Zusammenhänge herstellen und die antiken Sachüberreste insgesamt zu historischen
Quellen aufwerten, sie als historische Quelle auswerten.
1 Le Comte de Caylus, Recueil d'Antiquites Egyptiennes, Etrusques, Grecques et Romaines, Bd. 1,
Paris 1752, Avertissement S. iij.
Professor Peter Anselm Riedl merkt zu diesem Kapitel über die Vorläufer Winckelmanns in seinem
Gutachten folgendes an: Der Erkundungsradius müßte dadurch etwas vergrößert werden, "daß
auch die archäologischen Bemühungen im Umkreis der sogenannten Riforma cattolica in die
Betrachtung einbezogen werden. Um 1600 betrieben hohe römische Klerikerkreise eine Form der
christlichen Archäologie, die zumindest protowissenschaftliche Züge trägt. Die Grabungs- und
Katalogisierungsarbeiten unter der Ägide einiger Kardinäle (Sfondrato, Baronio u.a.) und unter der
Leitung fähiger Gelehrter (vgl. Antonio Bosios "Roma sotteranea", Rom 1632) waren zwar gegenre-
formatorisch-legitimatorischen Zwecken untergeordnet, zeugen aber zugleich von einem antiquari-
schen Interesse und einer historischen Gründlichkeit, die sich nicht auf kirchliche Selbsbestätigungs-
sucht reduzieren lassen." Die Vorgänger Winckelmanns haben "von diesen römischen Aktivitäten
am Vorabend das Barock" profitiert." Außerdem scheint es [...] beachtenswert, daß Winckelmann
von geistlichen Gönnern getragen wurde, die sich ihrerseits als Nachfahren der Wissenschaftsmä-
zene der Riforma cattolica verstehen lassen." Vgl. dazu auch: Forschungen zur Villa Albani: Antike
Kunst und die Epoche der Aufklärung, hrsg. von H. Beck und P.C. Bol, Berlin 1982; zum Stand der
Archäologie im 17. Jahrhundert vgl.: Gerald Heres, Archäologie im 17. Jahrhundert, in: Archäolo-
gie zur Zeit Winckelmanns, Eine Aufsatzsammlung hrsg. von M. Kunze, Stendal 1975 S. 9-39
(= Beiträge der Winckelmanngesellschaft Stendal, Bd 2).