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Kandinsky, Wassily
Über das Geistige in der Kunst: insbesondere in der Malerei ; mit acht Tafeln und zehn Originalholzschnitten — München, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.27758#0057
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III. GEISTIGE WENDUNG

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Notwendigkeit hervorgerufen, auch andere Bilder, die, hauptsächlich
durch äußere Anregung, äußere Reize entstanden (wie oft denkt man
da an Manet!), hauptsächlich oder ausschließlich nur das äußere
Leben besitzen. Hier wird die spezifisch französische verfeinerte, gour-
mante, rein melodisch klingende Schönheit der Malerei auf eine über
Wolken stehende kühle Höhe gezogen.
Nie unterliegt diesem Schönen der andere große Pariser, der
Spanier Pablo Picasso. Immer durch Selbstäußerungszwang ge-
führt, oft stürmisch hingerissen, wirft sich Picasso von einem äußeren
Mittel zum anderen. Wenn eine Kluft zwischen diesen Mitteln liegt,
so macht Picasso einen tollen Sprung, und da steht er auf der anderen
Seite zum Entsetzen seiner unmenschlich dichten Schar der Nachfolger.
Gerade wähnten sie ihn erreicht zu haben. Nun muß wieder das müh-
same Hinab und Hinauf beginnen. So entstand die letzte „französische“
Bewegung des Cubismus, über welche im Teil II ausführlich ge-
sprochen wird. Picasso sucht durch Zahlenverhältnisse das Konstruk-
tive zu erreichen. In seinen letzten Werken (1911) kommt er auf lo-
gischem Wege zur Vernichtung des Materiellen, nicht aber durch
Auflösung desselben, sondern durch eine Art Zerstückelung der ein-
zelnen Teile und konstruktive Zerstreuung dieser Teile auf dem Bild.
Dabei scheint er aber merkwürdigerweise den Schein des Materiellen
beibehalten zu wollen. Picasso scheut vor keinem Mittel zurück, und
wenn ihn die Farbe im Problem der rein zeichnerischen Form stört, so
wirft er sie über Bord und malt ein Bild mit Braun und Weiß. Diese
Probleme sind auch seine Hauptkraft. Matisse—Farbe. Picasso—Form.
Zwei große Weisungen auf ein großes Ziel.
 
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