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Kandinsky, Wassily
Über das Geistige in der Kunst: insbesondere in der Malerei ; mit acht Tafeln und zehn Originalholzschnitten — München, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.27758#0068
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ÜBER DAS GEISTIGE IN DER KUNST

fest mit dem Körper verbunden ist, so ist es möglich, daß eine psy-
chische Erschütterung eine andere, ihr entsprechende durch Asso-
ziation hervorruft. Z. B. die rote Farbe kann eine der Flamme
ähnliche seelische Vibration verursachen, da das Rot die Farbe der
Flamme ist. Das warme Rot wirkt aufregend, dieses Rot kann bis
zu einer schmerzlichen Peinlichkeit steigen, vielleicht auch durch Ähn-
lichkeit mit fließendem Blut. Hier erweckt also diese Farbe eine Er-
innerung an ein anderes physisches Agens, welches unbedingt eine
peinliche Wirkung auf die Seele ausübt.
Wenn dies der Fall wäre, so würden wir leicht durch die Asso-
ziation eine Erklärung auch der anderen physischen Wirkungen der
Farbe finden, d. h. zu den Wirkungen nicht nur auf das Sehorgan,
sondern auch auf die anderen Sinne. Man kann eben annehmen, daß
z. B. helles Gelb einen sauren Eindruck macht aus der Assoziation
mit der Zitrone.
Es ist aber kaum möglich, derartige Erklärungen durchzuführen.
Was gerade den Geschmack der Farbe betrifft, so sind verschiedene
Beispiele bekannt, wo diese Erklärung nicht gebraucht werden kann.
Ein Dresdener Arzt erzählt von einem seiner Patienten, den er als
„geistig ungewöhnlich hochstehenden“ Menschen charakterisiert, daß
er eine bestimmte Sauce immer und unfehlbar „blau“ schmeckte,
d. h. wie blaue Farbe empfand1). Man könnte vielleicht eine ähnliche,

x) Dr. med. Freudenberg. Spaltung der Persönlichkeit. (Übersinn-
liche Welt 1908, Nr. 2, S. 64—65.) Hier wird auch über Farbenhören gespro-
chen (S. 65), wobei der Verfasser bemerkt, daß die vergleichenden Tabellen
 
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