Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0043
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3. Die Grabstelen

35

der Ausführung. Ob freilich daraus eine primitive, altere Entwicklungsphase zu
erschließen ist, wie Heurtley will, bleibe dahingestellt. Wenn er, wie mir scheint mit
Recht, bei jener besseren, so ganz gleichartigen Gruppe an eine Künstlerhand denkt,
so könnten wir hier eine andere, viel geringere am Werke sehen. Die Grabstelen der
Schachtgräber sind doch wohl sicher die ältesten ihrer Art, sie stellen die Anfänge
größerer Plastik auf griechischem Boden dar. Da kann man auf die stilistischen
Kriterien, die in einer entwickelten Zeit zuverlässig wären, nicht mit Sicher-
heit bauen.

Zweifellos jedoch nimmt Nr. 1427 (Taf. VII) eine Sonderstellung ein. Auch
sie besteht aus Porös. Hier allein finden wir ein richtiges Hauptbild, von ganz
schmalen Bändern umrahmt, die gegenüber der figürlichen Darstellung voll-
kommen zurücktreten. Der architektonische Charakter des dreifachen unteren
Rahmenprofils ist ebenso einleuchtend wie die vegetabilische Stilisierung der
seitlichen Doppelspiralen mit ihren Ranken und Blättchen in den Zwickeln.
Im Gegensatz zur laubsägeartigen Zweischichtigkeit der ersten Stelengruppe
zeigt sich hier ein Bestreben nach plastischer Wiedergabe der Formen, durch
leichte Rundung der Umrisse und flache Austiefung des Grundes neben ihnen.
Dadurch gewinnt das Relief an Ausdrucksfähigkeit, was es an sauber deko-
rativer Wirkung einbüßt. Und zu dieser Richtung paßt auch die Wieder-
gabe beider Beine bei den Tieren, sowie die ausgebildetere Innenzeichnung.
Primitiv genug ist freilich die Komposition: ganz unorganisch steht das Kampf-
bild über dem die Antilope verfolgenden Löwen. Die unregelmäßigen Gebilde
zu beiden Seiten stellen offenbar felsiges Gelände dar, wie auf den Goldringen
Taf. XXIV.

Woher die Künstler der Grabstelen ihre figürlichen Vorbilder nahmen, unter-
liegt keinem Zweifel: minoische Darstellungen haben hier die Anregungen ge-
geben. Dazu brauchte man damals in Mykenai, wie die Funde aus den Schacht-
gräbern lehren, nicht nach Kreta zu fahren, wo zudem Bilder des Krieges und der
Jagd ebenso verpönt gewesen zu sein scheinen, wie sie auf dem Festlande beliebt
waren. Kretische Goldschmiede, Gemmenschneider, Verfertiger von Steingefäßen
müssen im XVI. Jahrhundert am Hofe von Mykenai, oder wenigstens für diesen Hof
gearbeitet und sich in der Wahl der Gegenstände den Wünschen der festländischen
Besteller gefügt haben. Aber ein Gebiet war ihnen fremd: die monumentale Rund-
und Reliefplastik in Stein, die auf Kreta bisher völlig fehlt, gewiß nicht zufällig.
Hier scheinen in Mykenai einheimische Künstler eingetreten zu sein. In der Tech-
nik wie im Ornament waren sie wohl verschieden weit geschult, im Figürlichen
bildeten sie, so gut es ging, die minoischen Vorlagen nach. Die Grenzen ihres
Könnens sind offenbar; doch darf man darüber die Leistung der ersten großen
Reliefplastik auf europäischem Boden nicht gering achten. Und diese
Leistung ist zweifellos eine selbständig helladische gewesen. Das verleiht ihr hohe
Bedeutung.

5*
 
Annotationen