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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0302
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294

III. Ergebnisse

CXXVI. So beherrscht der König der Tiere seine Welt auf unseren Darstel-
lungen1).

Die Löwenjagden sind von einer so verblüffenden Lebendigkeit, die Bewe-
gungen der gewaltigen Tiere so treffend gesehen und wiedergegeben, daß man
kaum an der Autopsie der mykenischen Künstler zweifeln kann. Daß es Löwen in
Griechenland gab, ist bekannt'). Sie auf Kreta vorauszusetzen, macht Schwierig-
keiten: sie müßten dorthin gelangt sein, ehe die Landbrücke zwischen Europa und
Kleinasien ins Meer versank, und dann überrascht das Fehlen ihrer Knochen unter
den in kretischen Höhlen gefundenen Versteinerungen')- Natürlich könnten mi-
noische Künstler in Ägypten, Nubien oder Libyen Löwen gesehen haben; denn daß
bloß eingeführte ägyptische Werke den Kretern die Kenntnis des Tieres vermittelt
hätten, wird man nach der grundlegenden Verschiedenheit der künstlerischen
Stile beider Länder nicht annehmen, ebensowenig, daß sich minoische Fürsten
Löwen aus Afrika oder Asien hätten kommen lassen. Denn das fast völlige Fehlen
der Jagdbilder auf Kreta1) lehrt, daß man für solche Freuden hier keinen Sinn
hatte. Es bleibt also das Wahrscheinlichste, daß unsere Löwendarstellungen in
Mykenai selbst von genauen Kennern des Tieres hergestellt sind.

Die vorzüglichsten Bilder sind natürlich die der Goldsiegel und der Dolch-
klingen, ganz besonders jener beiden kleinen Meisterwerke. Zu dem wild auf-
gebäumten, gewaltigen Tier, das sich auf 33 (XXIV und S. 177 Abb. 86) mit Ra-
chen und Pranke des Angreifers erwehrt, bildet der zusammenbrechende Löwe
von 34 (XXIV und S. 192 Abb. 88), der trotz aller Anstrengung den Pfeil nicht
aus seiner Flanke zu reißen vermag, ein wundervolles Gegenstück. Glänzend be-
obachtet sind der weit aufgerissene, gespannte Rachen, der mächtige Nacken mit
seiner wild gesträubten Mähne, die schlanken Lenden und die kraftvollen Pran-
ken. Dabei liegt durchaus kein „Naturalismus" vor. Die echt minoische Verbin-
dung lebhaftester Naturbeobachtung mit mehr oder minder starker Stilisierung

1) Ob auch im Minoisch-mykenischen, wie in Ägypten, der König selbst als Löwe oder Stier erscheinen
konnte, ob die Löwendarstellungen den Waffen besondere, vielleicht magische Kraft verleihen sollten, läßt sich
bei unserer trotz aller Funde so mangelhaften Kenntnis der minoischen Kultur und besonders der Religion nicht
feststellen. Glaubhaft erscheinen mir solche Deutungen unserer so unbefangen naturnah wirkenden Kunst-
werke nicht.

2) Vgl. Herodot VII125; Olympia III S. 209 ff., zur Basis der Pulydamas-Statue des Lysipp. Diese bezeugt Löwen
in Griechenland noch im IV. Jahrhundert. Keller, Antike Tierwelt 136; Steier bei Pauly-Wissowa, RE. XIII, 1926, 970.

3) Allerdings steckt die paläontologische Erforschung Kretas noch in den Anfängen. Vgl. Dorothea M. A. Bäte
bei A. Trevor-Battye, Camping in Crete (1913) 239 ff., mit Literaturangaben.

4) Die seltenen Ausnahmen, wie das frühe Insiegel Evans I 197 Abb. 145, bestätigen nur die Regel. Der Schluß
ex silentio ist hier wirklich einmal berechtigt; neben den so überaus zahlreichen Darstellungen von Stierspielen
könnten Jagdbilder nicht ganz fehlen, wenn es deren in der minoischen Blütezeit gegeben hätte. Löwendarstellungen
sind an sich auf Kreta nicht gerade häufig. Ich kenne aus der den Schachtgräbern vorausliegenden Zeit außer zahl-
reichen FM. Siegeln (Matz, Die frühkret. Siegel 110 f. 127, Taf. I. II. VII), die beiden kleinen granulierten Goldlöwen
Matz Taf. V 12 und Bossert Abb. 185; Siegelabdrücke wie BSA. VII 29 Abb. 9. IX 59 Abb. 37 f.; Evans I 505 Abb. 363.
716 Abb. 539. II 831 Abb. 546 ff., die allesamt viel schematischer sind als die oben besprochenen. Die Löwenrhyta
von Knossos sind wohl eher etwas jünger (Bossert Abb. 126; Evans II 827 ff. vgl. 333 Abb. 188). Es wird kaum Zufall
sein, daß Löwen sowohl auf den Steatitprismen wie unter den piktographischen Schriftzeichen fehlen.
 
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