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Schäfer, Georg
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Provinz Starkenburg: Ehemaliger Kreis Wimpfen — Darmstadt, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.18713#0039
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WIMPFEN A. B.

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schwebenden sechs kleinen Himmelsboten mit Leidenswerkzeugen in den Händen,
von den ebendaselbst angebrachten fünf Schildchen mit den Abzeichen der heiligen
Wunden Christi, sowie von den Genien in den oberen Zwickeln des Schreines, was
Alles die Thatsache bezeugt, wie unendlich weit der plastische Renaissance-Orna-
mentist des erneuerten Hochaltars hinter dem Urheber der gleichzeitigen und stil-
verwandten malerischen Ornamentation künstlerisch wie kunsttechnisch zurück-
geblieben ist.

Der steinerne Dreisitz (Fig. 11), welcher auf der Epistelseite des Hochaltares Sediie
an die südliche Chorwand sich anlehnt, ist seiner ursprünglichen Bestimmung nach
kein Wandschrank, wofür das zierliche Werk, nach Ausweis vorhandener Spuren,
noch vor nicht langer Zeit im Gebrauch war, sondern ein sogenanntes Sediie, auf
dessen in Nischen angeordneten Sitzbänken der am Hochaltar celebrirende Priester
und dessen beide Ministranten, Diakon und Subdiakon, bei besonderen gottesdienst-
lichen Anlässen, u. a. während der Predigt sowie beim gesanglichen Vortrag des
Gloria, Credo, der Psalmen und Hymnen, sich niederliessen. Das Material des
leider vielgcschädigten Sediie ist Sandstein; seine Abmessungen sind: 2,50 m
Breite, 2,20 m Höhe. Die reinen Linien der tektonischen Bestandtheile deuten
auf das gleiche Zeitverhältniss wie die Architektur des Chorbaues, mithin auf die
Aera der Blüthe des gothischen Stiles, der sogen. Hochgothik. Ueber den drei
Sitznischen spannen sich Spitzbögen aus, die von schlanken Dreiviertcl-Säulchen mit
attisirenden Basamenten getragen werden und von bossengesäumten Wimpergen
überragt sind. An den Fusspunkten des mittleren Wimperges schiessen Fialen auf
als Baldachinbekrönungen über zwei Statuetten, von denen die eine den h. Erzengel
Michael mit dem Speer als Satansbezwinger, die andere einen Dämon kopfüber in
jähem Sturz darstellt. Von zwei grösseren Statuen der Seitennischen des Sediie ist
nur noch eine in frei wallender Lockenfluth auftretende, langgewandete jugendliche
Heiligenfigur (St. Johannes Baptista?), ein verstümmeltes kelchartiges Gefäss tragend,
vorhanden. Aus Meisterhänden sind weder diese Skulpturen hervorgegangen, noch die
zwischen den Fialen und Wimpergen als Wasserspeier angebrachten unreinen Thiere
Hund und Schwein, noch auch die auf den Spitzen der Wimperge kauernden, die
Stelle von Kreuzblumen vertretenden Thiergrotesken. Sonach steht die Plastik des
Sediie bei weitem nicht auf der Höhe seiner einfach schönen Architektur.

Auf der Evangelienseite des Hochaltars, dem Sediie gegenüber, erhebt sich an der
nördlichen Chorwand ein Sakramentshäuschen (Fig. 12) auf zwei Doppelstufen in Sakrament»-

r t . , . ( t . .... häuschen

lolgerichtig gegliederter Struktur. Es ist ein gut erhaltenes Beispiel jener thurm-
ähnlichen Tempelchen, die auch unter der Bezeichnung Gotteshütten, Frohnwalme,
Tabernakel vorkommen und zur Aufbewahrung der h. Eucharistie als geheimnissvolles
Heiligthum des Allerhöchsten die ganze gothische Aera hindurch gebräuchlich waren,
nachdem während der romanischen Stilepoche die Aufbewahrung der konsekrirten
Hostie in einer kostbaren Pyxis stattgefunden, die in Taubengestalt an einem Krumm-
stab hinter dem Altare mittelst Ketten herabhing. — Lassen schon die Formen des
5,30 m hohen, in seinen unteren und mittleren Bestandtheilen aus Heilbronner
Sandstein errichteten Sakramentshäuschens über spätgothische Entstehung keinen
Zweifel, so wird die Zeitstellung des zierlichen Werkes noch genauer durch eine im
 
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