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Oechelhäuser, Adolf von; Kraus, Franz Xaver [Editor]
Die Kunstdenkmäler des Grossherzogthums Baden (Band 4,3): Die Kunstdenkmäler der Amtsbezirke Buchen und Adelsheim (Kreis Mosbach) — Tübingen [u.a.], 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1388#0098
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go KREIS MOSBACH.

den ihn von beiden Seiten umfassenden Frontmauern des Schiffes bündig läuft. Zweifelhaft
nur, ob dies die ursprüngliche Anordnung ist, oder nicht vielmehr der Thurm anfänglich
frei vor der Giebelfront des Schiffs gestanden hat. Für letztere Annahme spricht zunächst,
dass der Thurm auf seiner linken Seite (von vorn betrachtet) ohne Verband mit dem
anstossenden Frontstück aufsteigt, — die Eckquader-Fuge läuft deutlich sichtbar von
oben bis unten durch — ferner, dass das Zwischengesims des Thurmes an dieser Stelle
mit Kehrung endet, sich also nicht nach links hin stetig fortsetzt und schliesslich, dass
die erwähnte Jahreszahl 1514 am Giebelanfänger diesen Theil als spätem Anbau kenn-
zeichnet. Eine spätere Verlängerung des Schiffes seitlich am Thurme entlang bis zu
dessen Vorderkante würde damit unwiderleglich bewiesen sein, wenn nur auch die rechte
Seite der Facade dieselben Merkmale aufwiese. Dies ist aber sonderbarerweise nicht der
Fall, denn nicht nur, dass Thurm und Seitenfront hier in gutem Verband stehen, auch
das Gurtgesims des Thurmes läuft hier fast bis zum Ende glatt durch. (Dass oben etwa
auf eine Länge von 1,50 m der Verband zwischen Thurm und Giebeldreieck fehlt, Hesse
sich leicht dadurph erklären, dass die Giebelschräge nachträglich verändert, d. h. steiler
gemacht worden sei.) Man kommt somit zu der zwar sehr merkwürdigen, aber nicht
unmöglichen Annahme, dass die Anlage ursprünglich unsymmetrisch war, d. h. dass der
Thurm nur auf seiner nördlichen Seite freilag und erst i. J. 1514 die Gleichmässigkeit
hergestellt worden ist. Damals ist denn wohl auch die Umwandlung des untersten Thurm-
geschosses in eine offene Halle durch Aufstellung zweier kräftiger Rundpfeiler mit Spitz-
bögen an Stelle der weggenommenen Umfassungsmauern vorgenommen worden.

Archivar Dr. Albert macht in einem Schreiben vom 21. September 1900 noch folgende Ver-
muthung geltend: »Nachdem die, das Kircheninnere verunstaltende Empore entfernt ist, und die den
Thurm tragenden zwei mächtigen Säulen in ihrer ganzen Wirkung bloss gelegt sind, scheint es fast,
als ob dieser Theil ursprünglich eine offene Thurmhalle (1494) gewesen sei, die erst durch den An-
und Umbau des Jahres 1514 ihre jetzige Gestalt erhalten hat. Man sieht dies auch an dem Portal,
das früher weiter innen gestanden haben dürfte, sowie an dem darüber befindlichen Fenster, das
offenbar erst nachträglich eingebrochen worden ist«. Leider war es mir nicht möglich, nach der
Entfernung der Empore den Bau einer abermaligen Prüfung zu unterziehen.

Eine weitere bauliche Veränderung kündet die Jahreszahl 1703 (mit Steinmetz-
zeichen und den Buchstaben H B) am Schlussstein einer jetzt halb zugemauerten Thüre
vorn in der Südseite (die weiter unten rechts am Gewände eingemeisselten Jahreszahlen
1665 und 165//// haben keine Beziehung zum Bau). Damals ist jene hölzerne Empore
angelegt worden, die das Innere verunstaltet [neuerdings (s. oben) entfernt] und dem vordem
Theile des Schiffes unten so viel Licht entzieht, dass dort ein Fenster eingebrochen
werden musste. An der andern Seite entstand damals die zweite Eingangsthür. Hierdurch
erklärt sich die unregelmässige Anlage der Oeffnungen in beiden Langseiten, unter denen
die gothischen Fenster mit gradem Sturz, zwei in der Südseite, eins in der Nordseite, die
ursprünglichen sind. Die hohen Chorfenster zeigen Spitzbogen mit Mass werk-Verzierung.
Zwei von ihnen sind in Folge der Anlage der Sakristei an der Nordseite des Chores ver-
mauert worden. Einen besonderen, eigenartigen Schmuck haben die beiden südlichen
Fenster durch Anbringung der Figuren beider Patrone innerhalb des Masswerks erhalten:
in dem einen erscheint der h. Veit im Kessel knieend, im andern der h. Martin hoch zu
Ross mit dem Bettler. Diese Skulpturen sind so gut erhalten, dass man zweifelhaft sein
könnte, ob es sich nicht um getreue Nachbildungen aus neuerer Zeit handelt. Einige
Farbenreste an der Figur des h. Martin stellen jedoch die Originalität ausser Zweifel.
 
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