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Degas, Edgar; Keller, Harald
Die Familie Bellelli — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 75: Stuttgart: Reclam, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.62836#0005
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Genies entwickeln sich rasch, und ihr Jugendland und
ihre Erstlingswerke verschwinden für den Blick der
Zeitgenossen wie der Nachgeborenen bald hinter der er-
sten Wegbiegung der Straße, die so hart ansteigt, daß
die meisten der keuchend Ausschreitenden nicht merken,
wie sehr sie schon ihre Sternenbahn ziehen. Von der
»Braut von Messina“ zu den „Räubern“ zurückzufinden,
ist schwer — und nun sollen wir gar in diesem altmodischen
Familienbild, das von Bewegungslosigkeit und Stille ganz
erfüllt ist, ein Jugendwerk des Malers der Tänzerinnen
und Ballettschulen, der galoppierenden Pferde und der
Rennplätze, der gähnenden Büglerinnen und der flinken
Modistinnen erkennen, ein Bild also von Degas, der in
der Zeit, da der photographische Apparat zuerst die Be-
wegung in einer hundertstel Sekunde zu erhaschen und
zu eliminieren erlaubte, diesen chemisch-mechanischen
Prozeß in künstlerische Komposition zu verwandeln
suchte?
Mit dem Degas, der seit der ersten Impressionisten-
Ausstellung 1874 bei Nadar für Jahrzehnte hin der treu-
este Gefährte jener Künstlergruppe blieb, hat unser Bild
nun freilich wenig zu tun. Es entstand genau ein halbes
Menschenalter vor jener Ausstellung am Boulevard des
Capucines. Um 1858 studierten und kopierten vielmehr
die großen Maler, die ein Jahrfünft später eine künst-
lerische Revolution heraufführen sollten, noch alle die
alten Meister.
Das große Leinwandbild des Louvre in Paris (2,00X
2,73 m, Abb. 8) scheint auf den ersten raschen Blick hin
noch ein echtes und rechtes Bild des Biedermeier zu sein.
Da ist die geblümte Tapete, da ist der gefleckte Teppich,
den diese Stilphase so liebte, da hängt in einem breiten
Passepartout und einem goldenen Rahmen eine schlichte

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