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Degas, Edgar; Keller, Harald
Die Familie Bellelli — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 75: Stuttgart: Reclam, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.62836#0046
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gibt, malt Degas Bilder. Ihm ist die Charakteristik eben-
so wichtig wie den deutschen Genremalern. Diese jedoch
— selbst die Besten unter ihnen wie Waldmüller oder Knaus
— zeichnen ihren Gegenstand so charakteristisch wie mög-
lich und setzen dann die einzelnen Typen zu einem
Bilde, das sie mehr oder minder angenehm kolorie-
ren, zusammen, wobei ihnen oft wunderbar wahre Ge-
stalten gelingen (man denke z. B. an den alten Juden in
der „Salomonischen Weisheit“ von Knaus). Das Ganze
wirkt aber doch noch komponiert.
Degas’ Bilder dagegen machen zuerst den Eindruck einer
Momentaufnahme. Er weiß so zu komponieren, daß es
nicht mehr komponiert aussieht. Er scheint das ganze
Bild in der Natur gesehen, die Szene, die er darstellt, un-
mittelbar belauscht zu haben. Man sehe zum Beispiel den
Pedicure: die Szene ist so drastisch wie möglich, ebenso
die Pose, wie der Mann dem Mädchen die Hühneraugen
schneidet. Das Arrangement der beiden Figuren so un-
gesucht und ungekünstelt, als wären sie nach der Natur
photographiert, zufällig, wie sie so da zusammensitzen.
Bei genauerer Betrachtung aber entdecken wir unter der
scheinbaren Momentaufnahme die höchste Kunst in der
Komposition. Wie die Glatze des Operateurs als hellstes
Licht und die schwarzen Haare des Mädchens im Bade-
mantel als Dunkelheit gerade da im Bilde sitzen, wo sie
dekorativ am wirksamsten sind. Nichts mehr vom Ver-
satzstück. Jedes Detail, das geblümte Sofa, der Stuhl mit
dem überhängenden Laken, ist ebenso nötig für die Cha-
rakteristik des Vorgangs wie für die Bildwirkung. Der
novellistische Inhalt ist vollständig in Form und Farbe
umgesetzt. Ohne auch nur das geringste an seiner Dra-
stik zu verlieren, ist das triviale Motiv zu einem Kunst-
werk verarbeitet, das uns in Seiner wundervollen Ver-
teilung von Hell und Dunkel, in seiner farbigen Erschei-
nung an Veläsquez erinnert. C’est une fete pour les yeux.
Was ein alter akademischer Ausdruck la mise en toile
nennt, von der dekorativen Wirkung eines Outamaro.
Von weitem schon erkennt man jeden Degas an dem
originellen Ausschnitt der Natur. Kühn läßt er hier nur
den Kopf, dort nur die Hinterbeine eines Rennpferdes

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