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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Tschiedel, Johannes: Ponte Molle: Künstlerleben vergangener Tage in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0114
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86

Wonre Molle.

Künstlerleben vergangener Tage in Bom.

von Johannes Tschiedel.

er in Rom Gelegenheit hat, den allbekannten Park
Strohlfern — außerhalb der Porta del Popolo — zu
besuchen, versäume nicht, auf die Terrasse der Villa zu
steigen. Dort ist ein herrlicher Ausblick. Fern ragt
St. Peter auf, links und rechts von ihm schlängeln sich
Gianiculo und Monte Mario hin, im Vordergründe
die weite Ebene, durch die der gelbe Tiber reißend

Auf den Schienen, von Mar Alinger.

Blatt 8 aus der ersten Folge „vom Tode".

schießt. Der Blick schweift rechts weiter zu dem schön-
bogigen Ponte Molle, dem bleibenden Denkmal viel-
hundertjähriger Geschichte. Hier wurden die Gesandten
der Allobroger verhaftet, hier kämpften Constantiu und
Maxeutius die entscheidende Schlacht, hier musterte
Alarich seine blonden Heerscharen noch einmal, um dann
sengend und brennend in die einst weltbeherrschende Stadt
einzufallen und sie zu erobern. Und über denselben
Ponte Molle zogen später immer neue Scharen, unab-
sehbare Züge, eine friedliche und geistige Eroberung
Roms zu bewerkstelligen: Künstler, Gelehrte und Ge-
bildete aller Nationen, aus denen auch die Ponte mölle-
rt tterschaft hervorwuchs, die im Anfang dieses Jahr-
hunderts in Rom blühte.

Der Einzug m Rom war damals weihevoller als
heutzutage, es gab noch keine Eisenbahnen. Langsam
hatte die Diligenza die Campagna durchfahren, langsamer
klomm sie den Monte Mario hinan. Auf dessen Höhe
stieg man aus und betrachtete die Stadt: das Ziel der
Sehnsucht, die Verwirklichung des Jugendtraumes, den
Tempel der Geschichte und Kunst. Der gelbe Tiber nur
trennte noch von der Herrlichkeit, aber Ponte Molle er-
schloß den Zugang zu ihr.

Flott und froh, mit einem Gefühl innerer Befrei-
ung stürzte man sich in das Meer des Sehenswürdigen,
um rettungslos darin zu versinken. Die Unendlichkeit
der gänzlich neuen Welt erdrückte. Denn Italien war
damals noch das einzige Vaterland der Kunst; es hatte
in seinen Museen an einem Orte, speziell in Rom, zehn-
mal mehr Kunstsachen, als in ganz Europa sonst zu
finden waren. Deshalb war Rom der Sammelplatz der
Künstler aller Nationen. Und wie traten sie ihm gegen-
über? Nicht einmal Gipsabgüsse hatten sie vorher ge-
sehen und standen nun geblendet vor der Fülle der
höchsten Kunstwerke. Es wirkte wie ein Gewitter.

Erhoben und erschreckt zugleich suchte man gleichge-
stimmte Genossen, um im Verein mit ihnen aus dem
inneren Chaos herauszukommen und sich eine neue har-
monische Welt aufzubauen.

So trieb es sie zusammen, und so gründeten sie den
Pontemollebund. Als auserlesene Männer, Ritter des
Geistes, schlugen sie sich zu veritablen Rittern und thaten
sich zu einem Orden zusammen. Als Zeichen nahmen
sie den Baiocco, die kleinste römische Kupfermünze, und
nannten sich Baiocco-Ritter.

Doch war das nicht die allererste Künstlervereinigung
in Rom zu Zwecken künstlerischer Anregung und ge-
selligen Verkehrs. Die Geschichte meldet von zwei andern
noch zu Zeiten Giulio Romanos und Salvator Rosas und
einer dritten zu Florenz zur Zeit Andrea del Sartos.

An ihrer Spitze hatten die Ritter einen Genera-
lissimus, dem Schiedsrichter und Obrist, Dolmetscher,
Barde und Minister des Innern, Kabinettssänger und
Oberhofmundschenk regieren halfen. Der letzte war der
gefährlichste, er lotste die nordischen Völker herein und
war des Generals Hauptstütze im Reich. Zu Winters-
anfang ging er auf die Jagd; denn „November uns
den Neuling bringt, Von Nerly noch die Nachwelt singt"
hieß cs in ihrem köstlichen Künstleralphabet.

Die Ordensregel schrieb dem Ankömmling drei Be-
dingungen des Eintritts vor, die von Robert Reinick,
dem Maler-Dichter, in Reime gebracht, so lauten:

wer über Ponte Molle ging,

Den muß man respektieren.

Darum ein alt Gesetz verhing,

Mit Vrden ihn zu zieren.

Doch mit dem Gehn ist's nicht gethan,

Das kann ein jeder Sciorco (Narr),

Auf einem Faffe kommt heran
Der Ritter von Baiocco.

Drei Stück ihm da vonnöten sind,

Den Ritt wohl zu vollbringen:

Das erst': Lin guter Römerwein
Soll aus dem Fasse springen.
 
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