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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Gurlitt, Cornelius: Max Klinger, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0113

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von Cornelius Gurlitt

85

Der Tod als Heiland, von Mar Illing er.

I. Zustand des Schlußblattes aus der ersten Folge „vom Tode".

steht für sich da, wie es die Menschen in der Natur thun, nicht mit künstlerischer Absicht auf andere,
wie es im lebenden Bild geschieht: Wenn ein Kind mit seiner Mutter und sechs hübsche Tanten
zusammentreten, so mag mich ein solcher Anblick entzücken, sie geben aber doch zusammen keine Gruppe. Wenn
ich sie ans der Bühne für einen wohlthätigen Zweck „stelle", habe ich die größte Arbeit mit ihnen: Sie sollen
wie ein Bild aussehen und müssen daher knieen und sich beugen, sich die schlanken Leiber verrenken, und schwer
zu lernende Gesten machen, sie müssen ihre Natur ganz verleugnen lernen — sonst wird's eben kein Bild!
Das heißt doch mit anderen Worten: Erst müßt ihr aus der Natur in die Unnatur hinein, ans dem schönen
Leben in die Komposition, ehe ihr künstlerisch erscheint! „Bitte den linken Fuß mehr vor, liebes Fräulein, und
den Oberkörper zurück!" — „Ich kann so nicht stehen, es thnn mir ja schon alle Glieder weh von solcher
Verrenkung." — „Hilst nichts! Wenn Sie natürlich sich gebärden, giebt's eben kein Bild!"

Es sondert bei Klinger sich die einzelne Gestalt, sie steht gerade, sie erhält etwas Statuarisches. Un-
willkürlich zieht es ihn und seine Genossen zur Bildhauerei, zumal weil der unter ihnen, der zuerst die neue
Absicht mit großer Begabung vereinte, Hildebrand, von Haus aus Bildhauer ist.

Und so hat denn auch Klinger einen Versuch ins dritte Kunstgebiet unternommen : Der Maler und
Radierer ist Bildhauer geworden. Noch vor wenig Jahren hielt man diese Vielseitigkeit für ein Merkmal der
Renaissance. Max Nordau hält sie für „Faselei" und für ein Merkmal beginnenden Irrsinns: Jeder nach
seiner Art I Hier aber ist ein Mann, der nebenbei sich als Kenner der Musik und im geschriebenen Wort als
gewandt erweist — ohne daß darum Aufhebens gemacht wurde: Naht eine Renaissance? Pocht eine neue
künstlerische Freiheit an die Thüre des kommenden Jahrhunderts?!

Klinger arbeitete damals, als ich ihn besuchte, noch an seiner „Salome". Er meißelte sie aus einem
Marmor, der einen goldigen Fleischton hat, er malte ihr die Haare braun, die Lippen rot. Er kleidete sie in
ein Gewand aus blaugrauem Marmor, er bohrte ihr tiefe Augensterne, welche er schwarz färbte, und vor die er
eine Iris aus Bernstein setzte.

Salome war die Schwester des Herodes. Ich kann nicht sagen, daß ich eben viel von ihr aus Bibel
und Geschichte wüßte. Aber aus ihrem Bilde sehe ich, daß sie ein vornehmes Weib war mit einem fast bis
zur Mißbildung feinen zierlichen Näschen, niederer, kluger Stirn, vorgedrängtem, sinnlichem Kinn und noch
viel sinnlicherem Munde. Aber ein Weib, in das man aus Furcht sich verliebt, eine Blntsaugerin, ein zartes
Ding, das aber mit den dampfenden Stücken zerfleischter Herzen gefüttert sein will und das mit Lächeln den
ersten beiseite stößt, wenn das Blut des zweiten um einen Grad heißer ist. Vor ihr liegen die Köpfe zweier
mit blöder Verliebtheit zu ihr Aufschauender. Salome aber stützt das Köpfchen auf die Hand und schaut mit
ihren Bernsteinaugcn in die Weite. Die zarten Nasenflügel scheinen zu zittern.

Ich weiß nicht, wer es war, der den Ausspruch that, die Deutschen hätten das Unglück, ihre großen
Männer erst zu erkennen, wenn sie vorübergegangen seien, vom Rücken aus.

Wir werden gut thnn, sagte ich mir, als ich die endlich gefundene Werkstätte verließ, diesem Max
Klinger fest in die Augen schauen! — _
 
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