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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Muther, Richard: Die Schack-Galerie in München, [2]: zu ihrer Neueröffnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0453

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5(rO

Die Schack-Galerte m München.

Zu ihrer Neueröffnung.

von Prof. De. R. klluther.

(Schluß aus dem vorigen Heft.)

nd nun zu ihm. dem herrlichsten von allen. Auch
Arnold Böcklin hatte wie Feuerbach jahrzehnte-
lang unter dem Unverstand der Masse zu leiden. Wo ein
Werk von ihm auftauchte, wurde es mit Hohn über-
schüttet, mit den thörichtsten Witzen verfolgt. Aber er
besaß im Gegensatz zu Feuerbach eine sehr unmoderne
Eigenschaft: er strotzte von Gesundheit, ging, unbeirrt
von Lob und Tadel, in olym-
pischer Ruhe seinen Weg
und erreichte es so, daß er
selbst noch seinen Triumph
erlebte. Denn heute besteht
wohl bei niemandem mehr
ein Zweifel, daß in Böck-
lin der größte Genius des
19. Jahrhunderts zu ver-
ehren ist, ein Meister, den
in seiner ganzen geschicht-
lichen Bedeutung wohl erst
spätere Generationen wer-
den würdigen können. Als
Schackin den sechzigerJahren
in dem Buche über seine
Galerie das Kapitel über
Böcklin schrieb, ordnete er
ihn, da er keine Rubrik für
ihn fand, noch zwischen
die historischen Landschafts-
maler ein, neben Koch
und Rottmann, Lessing und
Schirmer. Späteren wird
er gewiß weit weniger als
Nachfolger, denn als Anti-
pode dieser Meister er-
scheinen. Ihrer aller Kunst
war eine Spielart der
alten Historienmalerei. Von
einem litterarischen Stoff
ausgehend, interpretierten sie
die von ihrem Autor vor-
gezeichneten Aktionen und umgaben die Figuren mit fin-
gierten Landschaften, die im allgemeinen denen ent-
sprechen, die man als Wohnstätten von Heroen, Patriarchen
und Eremiten sich vorstellt.

Bei Böcklin hat das Verhältnis sich umgekehrt. Er
ist in seinem ganzen Wesen Landschafter, und er ist der
größte Landschafter des 19. Jahrhunderts, kein einseitiger
Spezialist, wie es selbst die Klassiker von Fontainebleau,
die Corot, Millet und Rousseau waren, sondern uner-
schöpflich wie die unendliche Natur selbst. Da besingt
er das schönheitsschwangere Fest des Lenzes. Weiße
Schneeglöckchen läuten es ein, Primeln in gelb und
Veilchen in blau nicken lustig mit den Köpfen, und
hundert kleine Bergströme stürzen ins Thal, um zu
melden, daß der Frühling gekommen. Dort leuchtet, blüht,
duftet und klingt die Natur in allen Farben des Sommers.
Pupurstreifige Tulpen stehen an den Wegen entlang.

Hyazinthen und Tausendschön, Anemonen und Löwen-
maul füllen die Wiesen in gelben Horden; drunten im
Thal blühen Narzissen und schwängern die Atmosphäre
mit betäubendem Duft. Aber neben solch lieblichen Idyllen
hat er ebensoviel klagende Elegien und stürmische Tra-
gödien in machtvoller Erhabenheit entrollt. Da werden
düstere Herbstlandschaften mit hochaufragenden schwarzen

Cypressen von heulendem
Sturm und Regen gepeitscht.
Dort steigen einsame Inseln
oder ernste, von Epheu um-
sponnene, halb verfallene
Burgen träumerisch aus dem
Meer und lauschen elegisch
dem klagenden Flüstern der
Wogen.

Böcklin hat alles ge-
malt, das Anmutige und
das Heroische, das leiden-
schaftlich Erregte und dä-
monisch Phantastische, den
Kampf schäumender Wogen
und die ewige Ruhe starren-
der Felsenmassen, den wil-
den Aufruhr des Himmels
und den stillen Frieden blu-
miger Wiesen. Die Erschei-
nungen und Strömungen,
die er vor der Natur gehabt,
ruhen schließlich wie in
einem großen Magazin in
seinem Gedächtnis. Undnun
vollzieht sich in seiner Phan-
tasie ein weiterer Vorgang.
Was jene Vertreter der
heroischen Landschaft geahnt,
aber nur auf verstandes-
mäßigem Wege durch Illu-
stration von Dichterstellen
zu erreichen suchten — die
organische Verbindung von Figuren und Landschaft —
vollzieht sich bei ihm mit der Macht intuitiver Konzeption.
Die Stimmung, die eine Landschaft in ihm erregt, setzt
sich um in die Anschauung von Lebewesen, von Wesen,
die wie die letzte Verdichtung des Naturlebens selbst, wie
die greifbare Verkörperung des Naturgeistes erscheinen.
Wie er im Dunkel der Gebirgsschlucht den Drachen, die
Wanderer schreckend, sich aus seiner Höhle hervorrecken,
wie er in der Wildnis vor dem Mörder die rächenden
Furien sich erheben läßt, so wird ihm in still brütender
Mittagsschwüle, in die unerklärbar Plötzlich ein Ton hin-
hallt, der griechische Pan lebendig, der durch geisterhaften
Ruf den Hirten aus seinem Traum schreckt und dem
geängstigt Fliehenden spöttisch nachwiehert. Die geheim-
nisvollen Stimmen, die im Schweigen des Waldes leben,
umfangen ihn, und das von den erregten Sinnen ge-
borene Phantom wird zu einem geisterhaft unhörbar

Adolf Friedrich Graf von Schack.
 
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