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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Gurlitt, Cornelius: Max Klinger, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0089

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X. Jahrgang. Heft 6

i. Dezember 1894

HerauLgegeben von Friedrich Recht

„Die Kunst für Alle" erscheint in halbmonatlichen Heften von 2 Bogen reich illustrierten Textes und 4 Bilderbeilagen in Umschlag gehestet. Bezugspreis im
Buchhandel oder durch die Post lReichspostverzeichnis Nr. 3750, daher. Verzeichnis Nr. 438, k. u. k. österr. Zeitungsliste Nr. 1447) 3 M. 60 Pf. für das Vierteljahr

(6 Hefte); das einzelne Heft 75 Pf.

Max Kling er.

von Cornelius Gurlitt.

er Perdebahnschaffner winkte mir, ich solle aussteigen.

„Das ist die Billa Klingerl"

Ich hatte ihn gebeten, mir diese zu zeigen, da ich
einmal den Künstler, den ich in seinen Radierungen schon so
gut kannte, dessen „Pieta." und „Blaue Stunde" ich eben in
der vorjährigen Berliner Ausstellung gesehen hatte, selbst auf-
suchen wollte. Der Weg von Leipzig bis nach Plagwitz
hinaus ist weit und unerquicklich; er führt durch die allzulange
Straße eines Villenviertels, welche den beabsichtigten Genuß
der Ländlichkeit völlig durch ihre geradlinige Langweiligkeit
zerstört. Erst wenn man an die Pleiße kommt — oder ist's
die Elster? — wird das Bild freier. Man sieht in die
„Auen", welche Leipzigs schönste Zierde sind. In vielen
kleinen Armen durchziehen die beiden Schwesterflüsse die
Niederung. Ein blauer Duft liegt über ihr, der fast an
Holland oder England mahnt. Links die „Heiligen Wiesen";
dahinter ein dichtbelaubter Wald, die „Nonne" — die Sache
beginnt malerisch und mystisch zugleich zu werden.

Auf zwei Brücken überschreitet man die Flußarme.

Und vor dem ersten Haus jenseits dieser, hatte mich der ge-
fällige, aber auch gesprächige Schaffner abgesetzt. Ein Garten
mit stattlichen Bäumen, am Ufer eine Terasse, davor ein
Kahn, Haus und Beete sauber und schmuck: ein Bild aus
Gustav Freytags „Verlorener Handschrift": Hier könnte Hahn,
der Strohhutsabrikant, wohnen!

Noch ehe ich an der Thür klingelte, erfuhr ich von
einem Heraustretenden, der Maler Max Klinger sei jetzt nicht im Hause seiner Eltern, sondern arbeite tags-
über in seiner Werkstätte.

„Sie fahren bis ans Ende der Bahn, bis ans Pferdebahn-Depot. Dann ist das Atelier nicht zu fehlen.
Ein Paar Minuten Wegs!"

Ich fahre also mit dem nächsten Wagen weiter. Die Pferdebahnlinie wurde aber gerade umgebaut,
so daß ich weit vor dem Depot umsteigen mußte. Die Villenherrlichkeit beim Eintritt in den Vorort endet
bald. Zu beiden Seiten der Straße lange Reihen von Zinshäusern, darunter viele, denen man es anmerkt, daß
die Architekten von Plagwitz ihren eigenen Stil suchen. Die Bauwut äußert sich hier in besonderen Formen.
Manchmal scheint es, als habe ein toller Architekt den Unternehmer gebissen: Unerhörte Formenselbständigkeit
in billigstem Putzban!


Wax Klingrr.

Die Kunst für Alle X.

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