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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Fuchs, Georg: Richard Wagner und die moderne Malerei, [2]
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Pauli, Gustav: Neues aus Dresden, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0151

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Richard tvagner und die moderne Malerei, von Georg Luchs. — Neues aus Dresden.

N6

Dogma den Garaus zu machen, bemerken wir noch, daß auch das Prädikat „deutsch" ungerechtfertigt ist.
Die Eigenart und kulturelle Stellung einer Nation offenbart sich in den Schöpfungen ihrer produzierenden
Geister, sei es, daß diese als Individuen, sei es, daß sie als gleichmäßig bewegte Gemeinschaft (wie im alten
Kunstgewerbe, Volksliede u. s. w.) hierzu im stände sind. Tie Forderung, „deutsch" zu sein, ist also hier
überflüssig; wenn es trotzdem Brauch ist von einem Künstler, z. B. Thoma, zu sagen, er sei „deutscher" als
ein anderer, z. B. Böcklin, so kann man damit nur zu verstehen geben wollen, daß sich seine Empfindungsweise
den Meistern älterer Epochen nähert, indessen Böcklin origineller ist und in stilistischer Hinsicht des Neuen mehr
bietet. Doch auch in dieser Leidenschaft für das „Deutschtum" wittert man romantischen Unrat: jene
barbarischen Ur- und Erz-Teutschtümbler bis herab zum edlen Marcus Tullius Maßmannus: waren sie nicht
alle Romantiker?

Der „neue deutsche Phantasiekünstler" — „holla, Sixtus, auf den Hab Acht!" — wir können ihm
bereits auf Schritt und Tritt in den Ausstellungen begegnen, wie er sich echt romantisch mit seinen gigantischen
Einfällen brüstet und höhnisch lächelnd auf die Thoren herabblickt, die sich mit der Technik Plagen. Er hat
nunmehr die Genugthuung, daß man zur Rechtfertigung seiner Jugendsünden eine besondere Theorie errichtet
hat, sogar eine Theorie, die alle errungenen Fortschritte der Ästhesie verneint und mit vollen Segeln in die
trübsten Gewässer der Romantik zurücksteuert. Wenn der greise Richard Wagner am Ende seines mühevollen
Lebenskampfes müd und sehnsüchtig nach Klängen aus einer höheren Welt, die ihm zugleich Klänge der Jugend-
zeit und Heimat zu sein schienen, seinen Genius seiner Sehnsucht dienen ließ, so rechtfertigt das keine Theorie
und keine Kunstrichtung. Tr§o: Vor Pestilenz und teurer Zeit und vor der neuen deutschen Phantasiekunst
behüt uns, lieber Herrgott, Amen.

MmeF auF Dresden.

Das Gefühl der Abhängigkeit.

^Aor einigen Wochen waren in Dresden in den Aus-
stellungsräumen des Kunsthändlers Lichtenberg
einige Kartons ausgestellt, die bei allen denen, die sie
sahen, großes Aufsehen erregten. Der Künstler War-
den meisten unbekannt. Man erfuhr, daß es ein junger
Deutschrusse sei, der seine Studien an der Dresdener
Akademie, vornehmlich unter dem jüngst verstorbenen
liebenswürdigen Leonhard Gey gemacht habe. Sein Name
war Alexander Schneider.

Was bei den umfangreichen, kühn und sicher ent-
worfenen Zeichnungen zunächst das Interesse fesselte,
waren die Gegenstände. Daß man heutzutage keine
Heiligenbilder — überhaupt keine religiösen Bilder —
mehr malen könne, ist unter kunstverständigen Leuten
eine ausgemachte Sache, über die man nicht weiter zu
diskutieren braucht. So oft wir ein neues Glasfenster
aufstellen sahen, so oft sich eine neue Madonna ver-
schämt unter die Nacktheiten unserer Kunstausstellungen
verlor, ebenso oft hörten wir auch von irgend einer-
kompetenten Seite dieselben Bemerkungen laut werden:
— Wie leer! Wie konventionell! — Man kann so
etwas nicht mehr malen, weil man nicht daran glaubt!

Und dann klang das wegwerfende Urteil in einen
elegischen Schlußseuszer aus, in dem etwas von Perugin
und Raffael vorkam. Hieß der Maler des Heiligen-
bildes etwa Gebhardt oder Uhde, so lief das Urteil mit
einigen Modifikationen doch schließlich ans dasselbe
hinaus. Man nahm ihre Gruppen von Fabrikarbeitern
und Bauern überhaupt kaum ernst als Heiligenbilder. —
Das ist nur eine verkappte Konvention, hieß es. —
Die thun nur so, als ob sie daran glaubten!

Merkwürdigerweise hörte man vor jenen Kartons
im Kunstsalon von Herrn Lichtenberg nichts dergleichen,
obwohl die besten unter ihnen auch religiöse Gegen-
stände darstellten. Der kleine vierundzwanzigjährige
Schneider hatte alle Knnstphilister zum Schweigen gebracht.
 
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