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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Schmidkunz, Hans: Helmholtz über Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0060

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Gelmholtz über Kunst.

von llr. tzans Schmiökunz.

(Schluß aus dem vorigen Hefte.)

Analoges gilt von den Farben. Für schwache
Schatten ist die Empfindlichkeit unseres Auges im Blau
am größten, im Rot am kleinsten; das Weiß, das ja
alle Farben enthält, erscheint folglich, wenn sehr hell,
gelblich, wenn lichtschwach, bläulich gefärbt. Also kann
uns der Maler durch gelbliches Weiß eine größere, durch
bläuliches eine geringere Helligkeit, namentlich Mond-
scheinbeleuchtung, Vortäuschen; er stellt eine subjektive
Wirkung objektiv auf seiner Tafel dar. Ganz ähnlich
beim sogenannten Kontrast; durch ihn sehen die Farben-
gemische auf der Palette oft ganz anders aus, als sie
nachher im Gemälde erscheinen. Ta er aber durch Helles
Licht und glänzende gesättigte Farben stärker als durch
schwächeres Licht und stumpfere Farben — die Hilfs-
mittel des Malers — hervorgerufen wird, so muß der
Künstler auch die Kontraste eigens malen, welche von
jenen erzeugt werden. Wiederum subjektive Phänomene
des Auges objektiv auf das Gemälde gesetzt.

Indem so der Maler eine in allen Einzelheiten ge-
treue „Abschrift" in der Regel gar nicht geben kann, viel-
mehr die Licht- und Farbenskala ändern muß, ändert er
nur etwas, was an den Gegenständen selbst mannig-
fachem Wechsel unterworfen ist, und behält doch das
Wesentlichere bei, nämlich die Abstufungen der Hellig-
keit und Farbe. Nun aber die Individualität des Über-
setzers, die in jeder Übersetzung ihre Rolle spielt. Auch
dem Maler bleibt viel Einflußreiches zur Wahl frei: er
kann die absolute Helligkeit wie die Größe ihrer Ab-
stufungen innerhalb gewisser Grenzen frei wählen; „er
kann letztere, wie Rembrandt, übertreiben, um kraftvolles
Relief zu erhalten, oder sie verkleinern, wie etwa Fra
Angelico und seine modernen Nachahmer, um die irdischen
Schatten in den Darstellungen heiliger Gegenstände zu
mildern"; er kann gleich den Holländern durch verschie-
dene Hervorhebung des Lichts in der Atmosphäre die
zugehörigen Stimmungen wachrusen oder seine Gestalten
unabhängig davon frei, gleichsam objektiv klar hervor-
treten lassen. Das alles macht in großer Mannigfaltig-
keit den „Stil" oder die „Vortragsweise" aus.

In der „Farbenharmonie" schließlich lehrt uns Helm-
holtz u. a. natürliche Unterscheidungsmerkmale der Farben,
die der Künstler benützt, um z. B. durch hervortretende
Farben die Aufmerksamkeit des Beschauers auf die Haupt-
gegenstände des Gemäldes hinzulenken und an diese zu
fesseln, durch die Verschiedenheit der Gewänder die
Figuren von einander zu trennen, jede einzelne aber in
sich zusammenzuhalten. Sogar die Farben als solche
können, was sonst nicht gern zugestanden wird, einen
künstlerischen Wert erhalten, gleich einer schönen Stimme
in der Musik. „Eine solche ist ausdrucksvoller; das
heißt jede kleinste Änderung ihrer Tonhöhe oder Klang-
farbe, jede kleine Unterbrechung, jedes Zittern, jede
Schwellung oder Abschwellung derselben giebt sich viel
deutlicher augenblicklich dem Hörer zu erkennen, als das-
selbe bei einer weniger regelmäßig abfließenden Ton-
bewegung der Fall sein würde, und es scheint auch, daß
der starke Empfindungsreiz, den sie im Ohre des Hörers
hervorruft, viel gewaltiger als ein schwächerer Reiz

gleicher Art Vorstellungsverbindungen und Affekte wach-
ruft." Ähnlich verhalte es sich mit den reinen Farben.
In einer reinen Grundfarbe werden kleine Einmischungen
anderer Farben wie auf dunklem Grund der kleinste
Lichthauch sichtbar; jede Dame habe oft genug erfahren,
wie empfindlich Kleiderstoffe von gleichmäßig gesättigter
Farbe gegen Beschmutzung sind im Vergleich mit der Un-
empfindlichkeit grauer oder graubrauner Stoffe. Selbst
starke Farben können noch ausdrucksvoll in diesem male-
rischen Sinn sein und doch eine starke Erregung Hervor-
rufen, nur dürfen sie nicht zu große Flächen bedecken:
allzu lebhaft gefärbte einfarbige Kleider und noch mehr
Tapeten haben etwas Beunruhigendes und Ermüdendes,
die Kleider außerdem für die Trägerin den Nachteil, daß
sie Gesicht und Hände mit der Komplementärfarbe über-
ziehen. Was den Grad des Wohlgefallens betrifft, den
uns Farbenzusammenstellungen gewähren, so könne man
ohne Schaden zwei Farben zusammenstellen, die einander
so ähnlich sind, daß sie wie Abänderungen derselben
Farbe erscheinen; darüber hinaus komme man zu häß-
lichen Zusammenstellungen, bis der Abstand der Farben
wieder größer wird. Der weiteste, der von Komple-
mentärfarben, ergebe aber etwas Nüchternes und Grelles,
so daß im ganzen die Verbindungen solcher Paare am
gefälligsten sind, bei denen die zweite Farbe der Komple-
mentärfarbe der ersten nahe kommt, aber doch noch mit
deutlicher Abweichung.

So bauen sich denn vor unseren Augen auch Helm-
holtzens allgemeinere Kunstansichten auf. Nur der un-
gebildete Beschauer verlangt in der Regel nichts als
täuschende Naturwahrheit; ein Beschauer mit feiner aus-
gebildetem Geschmack wird mehr und anderes verlangen:
künstlerische Auswahl, Anordnung und selbst Idealisierung
der dargestellten Gegenstände. Die Naturwahrheit eines
schönen Gemäldes erscheint als „veredelte Naturtreue",
die alles Wesentliche des Eindrucks widergiebt und volle
Lebendigkeit der Anschauung erreicht; die Abweichungen
beschränken sich hauptsächlich auf solche Verhältnisse, die
wir auch der Wirklichkeit gegenüber nur schwankend und
unsicher zu beurteilen vermögen. Der Künstler kann
trotz seines bloßen Übersetzens uns einen höchst an-
schaulichen und eindringlichen Eindruck der Gegenstände
und ihrer Lichtstärken geben; ja deren veränderte Skala
erweise sich sogar in vielen Fällen als vorteilhaft, in-
dem sie alles zu Blendende und zu Ermüdende beseitigt.
Auch darum können wir der Betrachtung des Kunst-
werks ruhiger und dauernder nachhängen, als in der
Regel der der Wirklichkeit, weil es die Lichtabstufungen
und Farbentöne, bei denen die Modellierung der Formen
am deutlichsten und daher am ausdrucksvollsten ist, Her-
stellen und eine Fülle lebhaft glühender Farben vor-
führen und durch geschickte Kontrastierung erhalten kann.
Helmholtz hat hier fortdauernd viel Gewicht auf die
leichteste, feinste und genaueste sinnliche Verständlichkeit
der künstlerischen Darstellung gelegt; diese „sinnliche
Deutlichkeit" werde von Ästhetikern mit Unrecht als
Nebensache behandelt. Ein Kunstwerk, dies Wort in seinem
höchsten Sinn genommen, solle ja unsere Aufmerksamkeit
 
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