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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Der Amateur-Photograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0442

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Line Vlrnlderei über die Vhotogrnphie und ihre Beziehungen zur ttunft.

von F. p. Liesegang.

(Fortsetzung aus dem vorigen Hefte.)


s sind eben kleine Unwahrheiten notwendig, Täuschungen,
welche der gute Geschmack und das Schönheitsgefühl
erfordern. Wir wollen die Dinge nicht so dargestellt sehen,
wie sie sind, sondern wie sie dem Auge erscheinen, welches die
momentan empfangenen Eindrücke ergänzt und verändern
läßt, so daß die Vorstellung, die wir uns schließlich bilden,
stets aus einer ganzen Reihe von Eindrücken sich ergiebt. —
Tulloch erzählt, er wäre einst mit einem tüchligen Maler aus-
gegangen, um Skizzen zu machen. Er schlug seinem Freunde
vor, sie wollten beide denselben Vorwurf malen, da er auf diese
Weise am meisten lernen könne. Als die Skizzen fertig waren,
wurde verglichen. Tullochs Bild war naturgetreu aber unkünst-
lerisch. Ein großer Felsen im Vordergründe stellte die dunkelste
Partie der Landschaft vor. Die Anordnung erforderte, daß die
Kraft des Felsens abgeschwächt würde, und so hatte es der Maler
gethan. Tulloch malte den Felsen so, als ob er allein zu malen
wäre, und dachte nicht daran, daß er als Teil einem Ganzen
unterzuordnen sei. „Sehen Sie hier zum Fenster hinaus", sagte
der Maler, als sie zu Hanse waren, „und lassen Sie Ihr Auge
über die Gegend schweifen, aber ohne irgendwo anzuhalten."
Tulloch that es. „Nun, wo ist die dunkelste Stelle der Landschaft?"
Sein Freund bezeichnte einen Schatten unter einem Busch.
„Recht so. Nun vergleichen Sie den Schatten mit den dunklen
Massen hier im Vordergrund." Tulloch war überrascht, im Vor-
dergründe bedeutend dunklere Partien zu finden, die ihm vorher
nicht ausgefallen waren. . . . Die Photographie befindet sich in
derselben Lage, wie ein Anfänger in der Kunst; sie giebt jedes
Stück vollkommen wieder, aber als Bild für sich, nicht als Teil
eines Ganzen. — Da hat denn der Photograph zu prüfen, ob
die Landschaft für die Aufnahme geeignet ist, ob sie ihm ein ein-
heitliches harmonisches Bild geben wird. Er muß die Dinge mit
einem andern Auge betrachten wie der Maler: ein Vorwurf, der
für den Maler vortrefflich ist, kann photographiert völlig reiz-
los sein.

Der Photograph kann nur Greifbares darstellen; eine Idea-
lisierung ist für ihn ausgeschlossen — und wann wird je sein
Ideal mit der Wirklichkeit vor der Camera übereinstimmen! Die
künstlerische Thätigkeit des Photographen besteht also hauptsäch-
lich darin, seinen Gegenständen in der Natur eine derartige Er-
scheinung zu geben, daß eine Aufnahme in dieser Form den künst-
lerischen Ansprüchen möglichst genügt. Er muß sich geradezu sein
Gemälde, wie es sich der Maler auf die Leinwand schafft, in der
Natur zurechlkonstruieren- Und darin zeigt sich der Geschmack
des Photographen; denn er hat es in der Hand, dem Gegenstand
den oder den Anblick zu geben, er wählt die Einrahmung, den
Hintergrund u. s. w. — so daß das Endergebnis immer ein
Spiegel seiner Persönlichkeit, ein Ausdruck seiner Empfindung ist.

Zunächst werden die Landschaftsaufnahmen in Betracht
kommen. In wie verschiedener Weise kann eine Landschaft aus-
genommen werden; wieviel Gelegenheit ist hier nicht dem Photo-
graphen geboten, sein Kunstgefühl zum Ausdruck zu bringen!
Aber er hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Er muß
zunächst erkennen, ob die ausgewählte Landschaft ihre Schönheit
auch in photographischen Aufnahmen bewahren wird, wo der Reiz
der Farbe wegfällt. Denn manche Landschaft, die sich beim direkten
Anblick prachtvoll ausnimmt, sieht auf der Photographie eintönig
aus; ihr Hauptreiz bestand eben in dem Farbeneffekt. Deshalb
muß der Photograph bei der Prüfung einer Landschaft ganz von
der Farbenwirkung absehen — er muß sich gewöhnen, die Dinge
mit einem „photographischen Auge" zu betrachten. Die Wahl
des Standpunktes ist natürlich von großer Wichtigkeit, und hierin
hat der Photograph volle Freiheit. Er muß ihn so aussuchen,
daß der Hauptgegenstand vor den andern möglichst hervortritt,
unvorteilhafte Partien zurücktreten oder verdeckt werden, daß die
Linien und Massen sich im Gleichgewicht halten und das Ganze
überhaupt ein harmonisches Gebilde ist. Endlich ist es noch
seinem Geschmack überlassen, der Landschaft eine passende Ein-
rahmung zu geben. Die Beleuchtung erfordert ein eingehendes

Studium der Landschaft, denn sie bestimmt den Charakter der-
selben. Sie läßt die Landschaft heiter oder ernst, lebendig oder
ruhig erscheinen. Daher muß die Landschaft bei der verschiedensten
Beleuchtung betrachtet werden, zu verschiedener Tageszeit, ja wenn
möglich auch Jahreszeit, und geprüft werden, wann sie am vor-
teilhaftesten erscheint. — Nicht jede Landschaft verlangt natürlich
dieselbe Behandlung; geschickte Auswahl wird stets zur Erreichung
einer künstlerischen Wirkung beitragen. „Kunst ist Auswahl",
sagt Barry, „sie ist vollkommen, wenn sie sich auf das Gesamt-
bild erstreckt, und wertvoll, wenn sie nur einen Teil umfaßt und
somit ein Paß für die übrigen Partieen wird."

Bei der Porträtphotographie besteht die Schwierigkeit darin,
den Ausdruck herauszufinden, der dem Charakter der Person am
besten entspricht und die günstigsten Gesichtszüge erscheinen läßt.
Besonders bei Aufnahmen von Fremden ist dies schwierig, da
die meisten Leute vor der Camera einen andern Ausdruck an-
nehmen. Stellung, Kleidung, Hintergrund und Beiwerk muß
in vollkommener
Uebereinstim-
mung, dem Cha-
rakter und der
Figur der Person
angepaßt sein.

Die Beleuchtung
hat der Photo-
graph vollständig
in der Hand:
hier vermag er
seine künstlerische
Ausfassung un-
behelligt zum
Ausdruck zu
bringen.

Am besten
kann sich die
künstlerische Fer-
tigkeit des Pho-
tographen im
Sittenbild betä-
tigen. Dem Ma-
ler gegenüber ist
er insofern im
Nachteil, als er
fast nur Vor-
würfe aus dem
natürlichen Le-
ben zur Dar-
stellung bringen
kann. Außerdem
braucht er bedeutend bessere Modelle als der Maler. Der Photo-
graph kann nichts hinzufügen, verbessern oder weglassen; er muß
deshalb Modelle haben, die vollkommen aus seine Absichten eingehen,
sonst wird sein Bild ein Fehlgriff — wenn nicht gar ein Zerrbild.

Seinem Bilde einen einheitlichen Charakter zu geben, eine
Gesamtheit von oft ganz verschiedenen Dingen zu demselben Zweck,
zu derselben Idee zusammenzufügen, daraus ein harmonisches
Ganze zu schaffen — das zu erreichen, ist die Hauptschwierigkeit
des Photographen.

Aus allem dem geht hervor, daß der Photographie als
Kunst enge Grenzen gezogen sind; aber nicht minder, daß es
eines wahrhaften Künstlers bedarf, um mittels der Photographie
ein Kunstwerk zu vollbringen. Er muß mit den ästhetischen
Grundsätzen ebenso bekannt sein, wie jeder andere, der eine Kunst
ausübt; und wenn auch nicht in so reichlichem Maße als der
Maler, so hat er doch immerhin hinreichend Gelegenheit, sein
Kunstgefühl zum Ausdruck zu bringen.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)

Propsston in Berchtesgaden.
 
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