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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Röse, Otto: Spaziergänge durch die Pariser Salons, [1]
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Spaziergänge durch die Weiser Saloich.

von Dito Röte.

I.


Ende April und Anfang Mai die beiden „Salons",
wie jährlich um diese Zeit, eröffnet wurden, machte
sich der „Figaro" den boshaften Spaß, ein Zwiegespräch
von Clubman wiederzugeben: „Sind Sie beim Vernissage
gewesen?" — „Nein, ich hatte keine Zeit, und Sie?"
— „Ich auch nicht." — „Wie machen wir's nun, um
im Klub unfern Chic als erleuchtete Kunstkenner zu
wahren und den andern einzureden, daß wir dabeigewesen
seien?" — „O, ganz einfach. Ich gehe niemals hin;
jedes Jahr sage ich nur: Der Salon ist diesmal noch
schlechter als das vorige Mal. Das genügt." — In
der That genügt das einem großen Teile des eleganten
Publikums, ja, es genügt zumeist selbst den Pariser
Kritikern, die wirklich im Salon gewesen sind und sich
eines Bessern hätten belehren können. Was der Club-
man mit ein paar Worten sagt, umschreiben sie nur
mit litterarischen Redewendungen. Ein allgemeiner
Pessimismus reißt im Hinblick auf die Entwicklung der
schönen Künste ein. Weshalb? Spazieren wir unbe-
fangen durch die Ausstellungen, so gewahren wir allent-
halben frisches Streben, munteres Schaffen, eine Ent-
faltung der Kräfte, die noch keinen Rückgang voraussehen,
geschweige denn schon Nachweisen läßt. Die Zukunft
wird über die Kunst unserer Zeit jedenfalls ein günstigeres
Urteil fällen, als die Gegenwart. Wenn sich erst der
Überfluß der jetzigen Erzeugnisse verlaufen hat, wenn
von den 15—16 000 Gemälden, die jährlich in den
Pariser „Salons" und Bilderhändlersälen ausgestellt
werden, die minderwertigen verschwunden und vergessen
und nur die Meisterwerke noch bekannt sind, wird die

Bildnis seines Vaters, von Ferdinand Keller.

jetzige Kunst wohl mildere Richter finden, als bei der
Mehrzahl ihrer Zeitgenossen.

Die Verdrossenheit der modernen Kritik hat ihren
Grund im Übermaße des zu bewältigenden Stoffes.
Die Ausstellungen sind ins Riesige gewachsen. Wer sie
besucht, bescheidet sich zum voraus mit dem Gedanken,
daß er ein Kopfweh heimbringt. Der Spaziergang in
die Kunstblüte des Jahres ist denen, die sich rasch über
die Gesamtheit des Neuen unterrichten wollen, keine
Freude mehr, und diejenigen, welche nur wenige Muße-
stunden auf die Betrachtung der „Salons" verwenden
können oder wollen, bilden die große Mehrzahl unserer
kunstfreundlichen Mitmenschen. So greift die Ausstellungs-
müdigkeit immer weiter um sich. Im „Salon des Champs
Elysees" merkt man dies noch nicht so stark, wie drüben
auf dem Marsfeld; er liegt dem Mittelpunkt der Stadt
so nahe, gerade an der beliebtesten Promenade der Pariser,
so daß man ihn, wenn man ein paar Stündchen ver-
schleudert, kaum vermeiden kann. Dem Volke gilt er
als ergötzliches Bilderbuch, das Jahr für Jahr mit bunten
Neuigkeiten herauskommt. An den Sonntag-Nachmittagen,
bei denen das Eintrittsgeld nach alter guter Sitte weg-
fällt, ziehen noch immer 15—20 000 Menschen in den
Jndustriepalast, drängen und stoßen sich vor den Bildern
und kehren abends lechzend und bestaubt, doch zufrieden
von ihrem anstrengenden Ausflug, heim. Die fort-
währende Teilnahme des Pariser Volkes am sogenannten
„alten Salon" hat etwas Rührendes und für die hiesige
Geschmacksrichtung ungemein Bezeichnendes. Die Aus-
sicht auf trockenen Kunstgenuß setzt hier Mengen in
Bewegung, wie sie in Berlin durch keine, selbst mit
Doppelkonzerten, Kaffee, Bier und Würstchen verbundene
Ausstellung angelockt werden. Aber die höheren Gesell-
schaftsschichten halten sich mehr und mehr zurück. Der
Freitag im „Salon des Champs Elysees", der Tag der
vornehmen Welt, vereint immer weniger Anhänger der
alten Überlieferung. Im Marsseldpalaste vollends wird
die Öde geradezu erschreckend. Dort brachte selbst der
Firnißtag einen Fehlschlag: Morgens fast nur Künstler,
die aufs Publikum warteten, und nachmittags nicht viel
mehr Gäste als früher an den Sonntagen.

Der Marsfeldsalon aber ist es gerade, der dem
verständnisinnigen Kunstbummler die angenehmsten und
mannigfaltigsten Genüsse bietet. In ihm entfaltet sich
die Krone der Pariser Malkunst mit üppigem Wuchs,
während der „Salon des Champs Elysees" den Stamm
bildet, der dem Gezweige Saft und Kraft zuführt, den
gediegenen Stamm der französischen Schule. Suchen wir
Neues auf dem Gebiete der Malerei, so lenken wir unsere
Schritte immer wieder nach dem Palaste, der auf dem
linken Seineufer von dem Jubelmarkte 1889 her stehen-
geblieben ist, denn dorthin sind die persönlichsten, ursprüng-
lich begabtesten und zur Reife der Meisterschaft gelangten
Künstler übergesiedelt, als sie, des Gedränges im „alten
Salon" überdrüssig, im Frühjahr 1890 einen mehr oder
minder läppischen Streit um die Gültigkeit der Welt-
ausstellungsmedaillcn zum Vorwand nahmen, sich von der
Menge abzusondern und freieren Spielraum zu gewinnen.
 
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