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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Fuchs, Georg: Die Ausstellung von 1894 und die Kunst der Zukunft
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Herbert, Wilhelm: Kritikers Traum
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0025

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von (Zeorg Luchs. — Kritikers Traum, von lvilhelm Herbert.

bestimmtes Gefühl von mehr, viel, viel mehr? Wir
ruhen an einem grünen Hag, die Abendsonne streicht
gleich einer linden, lieben Hand über die Stirne und
es ist so still, so still — bald wird ein Glöcklein läuten,
und bald werde ich die Hände falten ....

Der Kundige vermißte wohl vorhin die Prä-
rafaeliten Englands und Lenbach. Diese führen uns
jedoch zur Betrachtung jenes Elementes, welches ich zu
Anfang das amphiktyonische genannt habe. Sie
sind Geister, die ein leidenschaftlicher Drang zum Stil
beseelt. Wenn auch unbewußt, trieb sie die Empfindung,
daß die Stilbildung einen Kreis, eine rhythmisch gleich -
bewegte Gemeinschaft voraussetzt, die sie in der Gegen-
wart nicht fanden, in die Vorzeit. Dante Rossetti
und seine Freunde gaben sich so den Prärafaeliten hin,
und ihre eigentümliche mystisch-kontemplative Veranlagung
half ihnen thatsächlich beinahe zum Ziel, so daß man
im Hinblick auf die kleineren Arbeiten Walter Cranes
wohl sagen kann, daß ein Stil erfunden wurde. Lenbach
warf sich bald auf die Spanier, bald auf die Venetianer,
bald auf die Flamen (van Dyck), aber ihm, dem robusten,
nichts weniger als femininen und träumerischen Geiste
blieben die Toten kalte, hämisch grinsende Skelette. Er
lernte ihre Art Wohl kennen und hat sie zuweilen be-
wunderungswürdig nachgebildet, aber er gelangte zu
keiner innigen Gemeinschaft mit ihnen, er schuf keinen
Stil, aber er blieb gesund und er selbst, was auch etwas
bedeutet. — In Frankreich, wo die Tradition durch
Kultur-Erschütterungen und -Erschöpfungen und durch
die Klassicität nie ganz zerrissen wurde, wo unter dem
seconck einpire der üppigste Nährboden gegeben war,
und wo auch im rechten Augenblicke das erlösende Genie
— Puvis de Chavanne — erschien, scheint sich in der That
eine jener Amphiklyonien gebildet zu haben, deren Quelle
in der Schule Puvis' zu suchen ist, die wir vornehmlich
an den Leistungen der jüngsten Aquafortisten, Radierer
und Holzschnittzeichner konstatieren. Ob sie sich ent-
wickeln wird, ist bei der byzantinischen Erschlaffung der
französischen Kultur schwer vorauszusagen. Es scheint,
daß die Führung zu diesem Ziele von den Franzosen
allmählich den Wallonen, Flamen (Rops, Donnay,
Khnopff, Meunier) und Deutschen überlassen wird.
Deutschland hat seit dem 30jährigen Kriege fast alle
seine geistigen Kräfte darauf konzentrieren müssen, sich
wieder eine Kultur und eine kulturelle Tradition zu er-
werben. Im 19. Jahrhundert passierte der Deutsche

G

auf diesem Wege die Stationen „Schiller" (1813, 1818)
und „Bismarck" (1870). Was wird nun kommen, da
wir bereits Richard Wagner und eine bildende Kunst
besitzen? Goethe steht hier Plötzlich vor uns. Er hat
in seiner Persönlichkeit alle Elemente deutschen Kultur-
lebens zu ihrer Blüte und zu ihrem Ende entwickelt, er
schuf auch einen Stil. Wird dieser das Heiligtum

Aehrruleserin. von ls. Lxler.

sein, um das sich die Edlen und Schöpfer — die andern
rechnen nicht — der Zukunft scharen wie die Amphiktyonien
um den Apollo von Delphoi und die Demeter svon
Anthele? Doch: — nicht um einer Prophetie willen
lenkte ich die Blicke nach der Zukunft.

Kritikers Graum.

von Wilhelm Herbert.

Or. C. Reiß mayer war abends nach Schluß der
Ausstellung heimgekommen — bei seinen abnorm strengen
Anschauungen über Kunst vollkommen unbefriedigt. So-
fort in der ersten Erregung hatte er sich an seinen Tisch
gesetzt nnd einige Stunden hindurch ununterbrochen ge-
arbeitet — die Todesurteile und Bannsprüche rasten nur
so über das Papier. Mehrere engbeschriebene Bogen be-
deckten das Schlachtfeld, als er fertig war. Dann trank
er rasch ein paar Schalen heißen Thees und legte sich
erschöpft zu Bette.

Da kam ihm ein Traum.

Er sah eine riesengroße, unbemalte Leinwand, die
wallte Plötzlich empor wie ein ungeheuerer Theatervorhang
und nun stürzte unter betäubendem, disharmonischem
Lärmen eine Rächerschar auf C. Reißmayer los, wie
dieser sie so bunt gewürfelt und entsetzlich nie geahnt
hätte. Wie sie aber so näher tobten und maledeiten, er-
kannte er in ihnen mit Schrecken lauter Gestalten aus
den Bildern, welche er heute abends „vernichtet" hatte.
Da streckte eine Maria Stuart, die er „ohne alle könig-
liche Würde" genannt, drohend beide Arme in die Höhe.
Ein ermordeter Julius Cäsar, von dem er behauptet
 
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