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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Tanera, Karl: Überlistet, [1]: ein modernes Märchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0334

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26H

Überlistet.

Ein modernes Märchen.

von Tanera.

1l>aul Döring war ein berühmter Mann geworden.

Sein letztes Bild „Die Krönung Mariä" hatte ihm
sogar den Professorentitel eingetragen. Die goldene
Medaille besaß er schon seit zwei Jahren. Daher unter-
lagen seine Gemälde keinem Urteil einer Jury mehr,
sondern hatten freien Eintritt in jede Ausstellung. Mit
41 Jahren soviel Ruhm und Ehre und nebenzu auch
reichen goldenen Lohn einzuheimsen, ist viel, und mancher
Künstler hätte sich in seiner Lage am Ziele aller Wünsche
gefunden.

Nicht so Paul Döring.

Über das erwähnte Bild schrieb ein Kritiker in
einer der angesehensten Zeitungen der Hauptstadt unter
anderem folgendes: „Ich resümiere also mein Urteil da-
hin, daß Paul Dörings „Krönung Mariä" eines der
bedeutendsten religiösen Bilder der Neuzeit ist. Freilich
so von himmlischer Seligkeit erfüllt, wie die „Krönung
Mariä" eines Fra Angelico ist das Bild nicht. Darum
kann es auch nicht in kirchlichem Sinne so ergreifend,
die Andacht und Frömmigkeit fördernd wirken wie dieses
und erfüllt daher nicht ganz seinen bestimmten Zweck.
So überirdisch begeistert wie der Mönch von Fiesole
verstehen eben unsere jetzigen Meister nicht mehr zu sehen,
und deshalb noch weniger zu malen."

Ein solches Urteil traf den Meister in innerster
Seele, umsomehr als er sich sagen mußte, der Kritiker
hat recht. Je mehr er sich das herrliche Bild dieses
Florentiner Malers der ersten Hälfte des Quattrocento
vorstellte, destomehr sah er ein, sein Werk konnte sich

wirklich nicht jenem an
die Seite stellen. Das
verletzte seinen Ehrgeiz in
hohem Maße.

„Warum soll unsere
Zeit nicht das Gleiche
leisten können! Warum
soll ich nicht die alten
Meister erreichen und so-
gar übertreffen können!
Ich habe eine gewandtere
Technik wie die Schule
des fünfzehnten Jahr-
hunderts , die heutige
Chemie liefert mir bessere
Farben, meine Phantasie
ist reicher wie die eines
einseitigen Mönches, meine
Erfahrung ist viel reifer
und geschulter. Es muß
also gelingen, es muß.
Ich will und werde so
malen, daß meine Bilder
besser auf das Volk ein-
wirken sollen als die
^ vorzüglichste Predigt des

ersten Kanzelredners."
Studie. Und doch war er mit

Von r. E. Meisjonicr (1°). allem, was er neu schuf,

nicht voll zufrieden. Die Kritik und die Menge priesen ihn
zwar immer mehr. Aber er, er selbst erkannte: das ist
noch lange kein Fra Angelico. Meine Bilder müssen noch
leuchtender und doch weihevoller, noch frommer und
frommachender, noch himmlischer werden. Ja, ja, himm-
lischer! Wer mir sagte, wie es im Himmel aussieht!
Wer mir den Himmel klar und deutlich beschreiben
könnte! Malen wollt' ich ihn schon, und dann, dann
würde wohl kein Kritiker mehr schreiben, ich hätte nicht
die himmlische Seligkeit eines Fra Angelico erreicht; ich
hätte den Zweck verfehlt!"

Mehr wie von den Menschen, nicht mit deren Be-
geisterung und Bewunderung, sondern mit Angst und
Sorge war das Schaffen des Malers Paul Döring von
einem anderen beobachtet und verfolgt worden, von dem
Beherrscher der Hölle, vom Teufel. Jedes neue Bild
verursachte ihm peinlichen Schrecken, denn er erkannte,
die herrlichen Kunstwerke des genialen Meisters wirkten
sehr förderlich aus den Kirchenbesuch ein. Mancher laue
Christ kam zum Gottesdienst oft nur, um in aller Ruhe
eine der ergreifenden Schöpfungen Paul Dörings be-
wundern zu können. Biele wurden durch des Künstlers
Bilder in gehobene, ja sogar in andächtige Stimmung
versetzt, blieben dann in der Predigt, und das Wort
Gottes fand von neuem Eingang in ihre Herzen. Dies
wollte der Böse Hintertreiben. Aber wie?

Da erkannte er auch die schwache Seite des Malers,
dessen verzehrenden Ehrgeiz. Mit Gewalt konnte selbst
der Teufel dem Paul Döring nichts anhaben, denn der
Maler war ein frommer Christ. Aber sein Ehrgeiz!
Hier war dieser Mensch vielleicht zu fassen.

Eines Tages klingelte es an der Atelierthüre des
Meisters. Die Köchin öffnete. Ein hoch eleganter Herr
stand außen, gab dem Mädchen eine Visitenkarte und
befahl, dieselbe dem Herrn Professor zu bringen und
ihm zu melden, der Herr wünsche ihn zu sprechen. Der
Maler betrachtete staunend die feine Karte. Oben links
befand sich eine goldene, siebenzackige Krone. Darunter
stand in zierlicher Schrift: „Baron Satanas".

„Ein sonderbarer Name. Ich kenne keinen Baron
Satanas. Vielleicht will er ein Bild bestellen! Karoline,
sagen Sie dem Herrn, ich lasse ihn bitten." In unge-
zwungenem Schritt, mit den Bewegungen eines erfahrenen
Weltmannes, trat der Fremde ein. Mit sonorer Stimme
begann er: „Verzeihen Sie, Herr Professor, mein Ein-
dringen. Ich gehöre aber zu Ihren begeistertsten Ver-
ehrern und konnte es mir nicht versagen, Sie einmal an
der Stätte Ihres Schaffens aufzusuchen. Darf ich mich
etwas bei Ihnen Umsehen?"

„Bitte." Dabei deutete Paul Döring auf die im
Atelier hernmstehenden Bilder, trat selbst aber wieder
vor seine Staffelei und malte ruhig an einer Maria als
Mutter mit dem Christuskind weiter. Baron Satanas
setzte einen Kneifer auf die Nase und betrachtete, wie
es schien, mit größtem Interesse die verschiedenen Ma-
donnen, Christusköpfe, Heilige und andere Schöpfungen
des Malers.

So verging eine halbe Stunde.
 
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