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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Fuchs, Georg: Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0113
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Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst, von Georg Fuchs.

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Dir SchloHrvachr. von Adolph Menzel (;8H4).

Friedrich Nietzsche und die bildende Dunst.

von Georg Luchs.

(Schluß aus dem vorigen Hefte.) Nachdruck ->»b°t°n.

77fl»as Sonett — etwa ein Finale des Empfindens — giebt das Höchste eines Zustandes, und auf diesem Höchsten
dessen Krone, jedoch ohne sich zu teilen, ohne in Teile zu „zerfallen", sondern als organisches Ganzes aufstrebend
und das Überquellende, Überströmende als einen Teil seiner selbst auf sich tragend. Weder Takt noch Melodie ändern
sich im zweiten Teile, er ist nur Steigerung durch Vermehrung der Reime (im I. Teile zwei auf acht, im II. Teile zwei
oder drei auf sechs Verse): nur die dorische Säule ist vergleichbar. Es ist somit unbezweifelbar, daß Rossettis Um-
deutung des Sonetts nach Inhalt und Form zugleich geschah. Nicht nur andere Sprache, auch andere Gedanken und
Empfindungen bemächtigten sich dieser köstlichen italienischen Kunstform. Sie, die sonst schroffen Schlußfolgerungen,
gefälligen Witzen, raschen Paradoxen und galanten Geschmeiden als Schrein diente: sie wurde zu einer schweren, edlen
Lade noch nicht gekannter Kleinode der Empfindung, des Traumes, des verfeinertsten Selbstgenusses. Eben dieselbe
Entscheidung ist über seine Malerei zu fällen; nur weiß ich, als der Originale unkundig, nicht zu sagen, ob er
in dieser Kunst die gleiche Höhe wie in der Poesie wirklich erreichte. Doch das entnimmt man auch den
Reproduktionen: sie sind inhaltlich und formal nichts weniger als sklavische Nachahmungen der Präraffaeliten;
ebensowenig aber auch von dem sentimentalen Begehren beeinträchtigt, einen Fra Angelico, Fra Bartolommeo,
Botticelli, Mantegna rc. aus dem Grabe zu beschwören, sich in ihre Tyrannis und Gespenstermacht zu begeben,
wie es die Art der Romantik (Nazarener) in Deutschland war. Es ist eine vollkommene Neudeutung, nicht
der Stoffe — die modernen englischen haben nur ganz vereinzelte Stoffe mit ihren alten italienischen Namens-
vettern gemein — jedoch der Formen, des Stimmungsgehaltes. Die Überreife, in England durch brutale, vier-
schrötige Gesundheit allzulange zurückgedrängt und dadurch um so edler ausgegohren, wirst sich — denn das
ist ja die Liebe und Leidenschaft der Überreifen — in die schmächtig frischen Arme der jungfräulichen Unreife
und deutet deren Reiz und deren Schwachheit nur zu ihrem Reize und ihrer Schwachheit und fühlte sich
durch diese Umdeutung wieder stark, so stark, daß sie einen neuen Stil schuf: Walter Crane, Bnrne Jones
(vorzüglich in ihren ornamentalen und Gelegenheitsarbeiten), Greiffenhagen, die jüngste Schule der englischen
Zeichner. Watts ist allzeit ein robuster Engländer geblieben, allerdings ein Engländer von Geist und Geschmack, man
vergleiche seine Porträts. Sein Praeraffaelismus blieb Faltenwurf, dann wurde er Allegoriker. Was diese
Künstler allesamt auszeichnet und den Anblick ihrer Werke so mystisch reizvoll macht: das ist die Stärke des
 
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