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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Fuchs, Georg: Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0114

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8S

Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst.

Müden, besser des müden Scheines. Die Stärke offenbart sich in der dargestellten Art des Um- und Höher-
deutungsvermögenS; doch die Helden, welchen sie innewohnte, gaben sich wie sinnende, in Visionen versunkene
Anachoreten, oder wie Jünglinge, die noch in knabenhafter Scheu dem Furchtbaren des wahren Lebens aus-
weichen und es in seinen schuldlosesten Äußerungen und Symbolen genießen: dies ist die Art und Schönheit
der Engel.

Und wie ein Olympier vor einer Engelschar, so ragt Böcklin vor und über jene englische Schule,
als der Künstler, welchem am meisten hellenische Kraft und Schönheit zu teil wurde von allen dieser Zeit.
Man könnte es beklagen, daß der plötzlich über Europa hinfahrende Ruhm dieses Meisters den Einsiedler
Nietzsche nicht mehr erreicht hat, wüßte man nicht ohnedies schon aus allem, was Nietzsche über die Kunst aus-
gesagt hat: wie er ihn gepriesen haben
würde! Er mußte sich an Bizet halten,
um wenigstens an Keimen und Andeu-
tungen seine Forderung der großen, Hellen,
lebensfreudigen Kunst, des modernen Hel-
lenismus erläutern zu können. Böcklin
bietet uns die Erfüllung. Das grandiose
258. Kapitel in „Jenseits von Gut und
Böse", S. 223: »II taut rusrickionalissr
In musihuer ist nur die Darstellung und
Ausbeutung der durch Bizet erweckten
Träume und Ahnungen. Man höre, ob
sie nicht gleichbedeutend ist mit einer tiefen
Charakteristik Böcklinsl „Gesetzt, daß einer
den Süden liebt wie ich ihn liebe, als eine
große Schule der Genesung, im Geistigsten
und Sinnlichsten, als eine unbändige
Sonnenfülle und Sonnenverklärung, wel-
che sich über ein selbstherrliches, an sich

glaubendes Dasein breitet: nun, ein-

solcher Südländer, nicht der Abkunft, son-
dern dem Glauben nach, muß, falls er
von der Zukunft der Musik (-Kunst) träumt,
auch von einer Erlösung der Musik vom
Norden träumen und das Vorspiel einer
tieferen, mächtigeren, vielleicht böseren und
geheimnisvolleren Musik in seinen Ohren
haben, einer überdeutschen Musik, welche
vor dem Anblick des blauen, wollüstigen
Meeres und der mittelländischen*) Himmels-
helle nicht verklingt, vergilbt, verblaßt —
einer übereuropäischen Musik, die noch vor
den braunen Sonnenuntergängen der Wüste
Recht behält, deren Seele mit der Palme
verwandt ist und unter großen, schönen,
einsamen Raubtieren heimisch zu sein und
zu schweifen versteht... Ich könnte mir
eine Musik denken, deren seltenster Zauber darin bestünde, daß sie von Gut und Böse nichts mehr wüßte, nur
daß vielleicht irgend ein Schifferheimweh, irgend welche goldne Schatten und zärtliche Schwächen hier und da
über sie hinwegliefen: eine Kunst, welche von großer Ferne her die Farbe einer untergehenden, fast unverständlich
gewordenen moralischen Welt zu sich flüchten sähe, und die gastfreundlich und tief genug zum Empfang solcher
Flüchtlinge wäre."

Unter unseren jüngeren, in den letzten Jahren berühmt gewordenen Künstlern ist namentlich einer
hervorzuheben, welcher in seinen glücklichsten Werken auf die Höhe der neuen, großen Kunst im Sinne Nietzsches
gelangte: Max Klinger. Was ihn im allgemeinen noch befangen hält, zumal in seinen Radierungen, ist

») „II kaut wväitsi'Liiisör la wusigus" heißt es im „Fall Wagner", wo besonders im 2. Kapitel diese Ausführung
wiederkehrt.

Cercle Kaiser Wilhelms I. von Adolph Menzel (t8?d).

Da; Original im Besitze des Herrn I. L.'Schön, Worms.
 
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