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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Die Frühjahr-Ausstellung der Münchener Secession 1896
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0288

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Birlrrn. Von Wilhelm Aeller-Reutlingen.

Die Frühjahr-Au^stettung der Münchener Secession 1896.

Don E. V- Nachdruck verboten.

7?v»ie zwei vorangegangenen Frühjahr-Ausstellungen des „Vereins bildender Künstler in München" zeigten
durchschnittlich ein Vorwiegen des lokalen Kunstschaffens. Die prononcierte Betonung des „internationalen"
wurde immer mehr auf die in breitem Rahmen gehaltenen sommerlichen Veranstaltungen übertragen. Diesmal
trägt das Ausland numerisch sowohl wie qualitativ den Sieg davon. Es ist dies durchaus kein Vorwurf,
vielmehr mag gerade an einigen der ausländischen Aussteller die Erkenntnis gewonnen werden, was man unter
künstlerischen Vollnaturen zu verstehen habe: solche, deren angeborne Noblesse es nicht zugiebt, daß etwas die
Werkstatt verlasse, ohne daß dabei die volle Kraft, das beste Können, die ganze Überzeugung einer starken und
ernsten Natur eingesetzt worden wäre. Es giebt ja anderseits auch überall Arbeiten ans diesem Felde, die lebhaft
an die Herstellungsweise der bildlichen Wiedergaben der schwarzen Mutter Gottes zu Czenstochawa erinnern. Die
Abbildungen dieses wunderthätigen Marienbildnisses werden nämlich hauptsächlich durch — Israeliten hergestellt.
Künstlerische Arbeit, welche den Stempel der Überzeugungslosigkeit trägt, ist allenfalls, legt man bloß Wert
auf die dabei verausgabte Geschicklichkeit, für einen Moment interessant, länger nicht, ebenso wie ein Bonmot,
das zur rechten Zeit und am rechten Orte fällt, seine Wirkung für den Moment hat, am nächsten Tage aber
oft kaum mehr ein Lächeln hervorzurufen im stände ist. Doch — cke Zustibus von est ckisputuvckum; man
muß die Sachen dieser Welt immer so nehmen, wie sie liegen; denn sie sind Ausdruck der Zeit. Darüber läßt
sich allenfalls philosophieren, niemals aber rechten.

Giovanni Segantini in Maloja (Engadin) hat schon oft die Münchener Ausstellungen beschickt,
nie aber in so reichem Maße wie diesmal. Zehn größere Ölgemälde und vierunddreißig Zeichnungen geben
ein Vollbild des eigenartigen, ernsten, von einer starken Individualität getragenen Schaffens des Künstlers.
Man muß nur das ansgestellte Selbstporträt anschauen! Die Ruhe der Züge, der feste sichere Blick des
männlich schönen Antlitzes offenbaren das gleiche, was seine Bilder, seine geistvollen Zeichnungen sagen. Er
fußt auf sich selbst; seine Schöpfungen sind seine felsenfeste Überzeugung. Dazu tritt ein ganz enormes Können,
das in selbsterrungener Anschauung wurzelt- Nie vor ihm, auch von keinem seiner Zeitgenossen, ist die Cha-
rakteristik alpiner Erscheinungen mit gleichem Verständnis zum bildlichen Ausdrucke geworden. Manchen be-
fremdet die Technik bei näherem Hinschauen. Große Bilder wollen aber immer auf Distanz gesehen sein;
sie werden nicht mit der Lupe gemalt, noch sind sie da, um mit der Lupe untersucht zu werden. — — —

Ein blödes Aug reicht jedem Dinge nah
Und sieht am ganzen nur die Einzelnheiten.

Wer stets die Welt nur durch die Lupe sah,

Der überblickt sie nie im großen, weiten.

Die Aunst für Alle XI, 15. 1. Nlai 1896.

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