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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0059

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3Y

Bus Tevp. Gras lialck'.rruths ^-kirpnbuch.

Die letzten Winselstriche.

Nach Mrs, lv, L. Llifford,

Aus dem Englischen übertragen von Narre von Schmid.

(Fortsetzung aus

„Ich bin verändert", sagte sie mit etwas Rührung
in der Stimme und mit einem Lächeln, welches heischte,
daß er ihr widersprechen möchte, aber er antwortete
mit größtem Ernst:

„Natürlich, Madame, wir sind beide verändert, Sie
sind Gräfin, und ich bin ein alter Mann."

„Ach nein, nicht alt, Monsieur", sagte sie mit
einem Lächeln, welches ihn gewinnen sollte; aber es
mißfiel ihm. Er blickte ihr Plötzlich ins Gesicht, und
etwas säst wie Haß bemächtigte sich seiner. Die Augen, die
zu ihm aufsahen, waren nicht mehr so blau wie früher,
und sie hatten den treuherzigen Ausdruck verloren. Ihre
Augenbrauen waren fein und gewölbt und dunkler als
ihr Haar. Lady Harlekston war nicht umsonst die
Tochter einer Französin und wußte wohl, wie man im
Laufe der Jahre der Natur durch die Kunst nachhelfen
kann. Auf ihren Wangen lag eine zarte Röte; er aber
runzelte die Brauen, als er sah, daß es nicht mehr
das Rot von einst war, dessen er sich erinnerte. Ihre
Lippen hatten den Schwung und die Farbe verloren, die
Haut hatte eine gewisse Festigkeit angenommen, und auf
dem Gesicht waren Linien, die nichts als der Tod würde
wegwischen können, welcher oft, wenn er in die Fuß-
spuren der vergangenen Jahre tritt, das Gesicht des
Erdenpilgers, der das Ende seiner Laufbahn erreicht hat,
so sanft erscheinen läßt, als ob er wieder jung geworden
wäre. Vor Carbouche gab es keine Verkleidung: in Lady
Harlekstons Antlitz und ihrer ganzen Erscheinung, ob sie
auch für schön und modern galt, war etwas Erkünsteltes
und Weltliches. Er sah es und vergab ihr nichts.

„Und nun dürfen Sie gehen, Susette; die Sitzung
wird in zwei Stunden vorüber sein, nicht wahr, Monsieur?
Um ein Uhr können Sie wiedeikommen; bringen Sie
den Wagen mit, ich werde ermüdet sein."

„Ihr Mädchen kann warten, wenn Sie das vor-
ziehen, Madame. Da steht ein Stuhl am Kamin."

„Ach nein, sie hat einige Einkäufe zu machen.
Außerdem, wir sind alte Freunde, Monsieur."

dem vor. Hefte.)

Nachdruck verboten.

Es lag etwas sehr Französisches in ihrer Art; selbst
er bemerkte es. „Und ich möchte", sie zögerte mit den
Worten, bis die Thüre sich hinter dem Mädchen geschlossen
hatte, „ich möchte mit Ihnen plaudern; das wäre un-
möglich vor dem Mädchen." Carbouche schrak zurück.

„Um Verzeihung, Madame", sagte er, indem er
ihr mit der Hand den erhöhten Sitz anwies und seinen
Kohlenstift hervornahm; „aber ich habe nicht die Ehre,
ein alter Freund von Ihnen zu sein; es sind noch nicht
zehn Minuten her, seit Sie ankamen."

„Ich dachte an vergangene Jahre", sagte sie mit
ihrer sanften Stimme.

„Die vergangenen Jahre haben nicht mehr Be-
ziehung mit uns, Ma-
dame, als die Toten,
die in ihren Gräbern
liegen. Heute haben
wir an Ihr Porträt
zu denken. Wollen Sie
die Güte haben, sich
ein wenig mehr nach
demLichte zu wenden?"

Und er trat zurück, um
ihre Stellung zu be-
trachten.

„Bin ich sehr ver-
ändert ?" fragte sie
 
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