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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Riegel, Herman: Die Betrachtung der Kunstwerke, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0214

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Die Betrachtung der Kunstwerke.

von Lerman Riegel.*)

ie Art der Betrachtung der Kunstwerke vom
ältesten, das erhalten, bis zum jüngsten, das eben
ward, ist für Den, der zuerst herantritt, die des natür-
lichen Gefallens und Mißfallens; er freut sich an denen,
die ihm gefallen, und er findet andere mißfällig oder
sonderbar. Aber will man aus dieser gröbsten Art
willkürlichen Betrachtens herauskommen, will man das
Verständnis der schwierigeren Werke erlangen, so muß
man einem bestimmten Plane
folgen, man muß sehen
lernen, man muß das Auge
und durch das Auge Geist
und Empfindung erziehen und
bilden. Denn sowohl die

Werke der Vorstufe, als auch
die der höchsten Vollendung
sind schwer. Es giebt weit
mehr Museumsbesucher, welche
die Kunst der Ägypter und
die Bildwerke von Ägina be-
lächeln, die an den Parthenon-
werken kalt und blind Vor-
beigehen, als solche, die das
Wesen und die Schönheit
dieser Werke fühlen, während
jene doch vor manieristischer
Farbenpracht, deren Hohlheit
der Kundige erkennt, staunend
verweilen. Dies ist das Ge-
wöhnliche und natürlich Nahe-
liegende, das jedoch, wenn
man planlos nur dem belie-
bigen Gefallen nachhängt, nie
mals zum Kunstverständnis
führt und sogar die Ge-
schmacksanlage, die etwa vor-
handen war, verwirrt. Jeder,
der sich überhaupt eingehender
mit der Kunst beschäftigen
will, der wenigstens in seine
Bildung so viel Kenntnis über
Kunstdinge aufnehmen will,
als die lebendige Anteilnahme unserer Zeit an der Kunst
nahe legt, wird deshalb einigermaßen methodisch
verfahren müssen.

Wenn hier versucht wird, einen Fingerzeig zu
einer solchen Methode zu geben, so kann er nur
die Bedeutung einer Meinung, eines Rates, aber nicht
die einer ausschließlicheren Giltigkeit haben. Zwar wird
er durch sachliche Gründe uud reichliche Erfahrungen ge-
halten, aber darum soll nicht gesagt sein, daß nicht
auch andere und vielleicht bessere Wege mannigfacher
Art offen ständen.

Vor allem geht der Rat dahin, sich zuerst gründlich

*) Wir entnehmen diesen Aussah mil gütiger Erlaubnis
von Verfasser und Verleger der jüngst erschienenen vierten Auf-
lage von Herman Riegel, „Die bildenden Künste" (Heinr.
Keller, Frankfurt a. M., 8 M.) und verfehlen nicht, unsere Leser
nochmals auf^das vorzügliche Buch des verdienstvollen Leiters
des Braunschweiger Museums aufmerksam zu machen

an den reinen, edlen Formen der hellenischen Baukunst
zu üben. Die Architektur ist die Grundlage aller Kunst-
entwicklung, also fängt auch der Kunstfreund am besten
zunächst bei ihr an. Er lernt das Gesetzmäßige gleich
hier trefflich und für sein ganzes weiteres Studium ent-
scheidend kennen, und zugleich gewöhnt er sein Auge an
tadellos schöne Formen. Allmählich mag dann zu dieser
Vorbildung eine Beschäftigung mit der antiken Bild-
hauerei treten, doch empfiehlt
es sich hierbei, nicht mit dem
Kataloge in der Hand die
Sammlungen zu durchlaufen,
um die Namen der Stücke
auswendig zu lernen, wohl
aber ein hervorragendes
Werk auszuwählen und dies
mit Hilfe gründlicher Er-
klärungen nach allen Seiten
hin durchzugehen, dann ein
anderes und ein drittes eben-
so folgen zu lassen, bis man
sich der Form gegenüber
einigermaßen sicher fühlt. Die
meiste Schwierigkeit wird aber
gerade dies bewußte Eindrin-
gen in die klassische Antike
bieten, deren lebendiges Er-
fassen doch das Wesentlichste
ist, um eine sichere Grundlage
zu einer reiferen ästhetischen
Bildung zu gewinnen. „Wer
die besten Werke des Alter-
tums nicht hat kennen lernen,
glaube nicht zu wissen, was
wahrhaftig schön ist." —
„Glaube gewiß, daß der
alten Künstler, sowie ihrer
Weisen Absicht war, mit we-
nigem viel anzudeuten. Da-
her liegt der Verstand der
Wichel,u Diez fee. Alten tief in ihren Werken. . .

Ist ein Vorurteil nützlich, so
ist cs die Überzeugung von dem, was ich sage; mit derselben
nähere dich den Werken des Altertums, in Hoffnung, viel
zu finden, so wirst du viel suchen. Aber du mußt dieselben
mit großer Ruhe betrachten; denn das Viele im wenigen und
die stille Einfalt wird dich sonst unerbaut lassen, wie die
eilfertige Lesung des ungeschminkten, großen Xenophon."
So Winckelmann in seiner „Erinnerung über die
Betrachtung der Werke der Kunst". Welche Bedeutung
dieser Beschäftigung mit der Antike überhaupt beigelegt
wird, lehrt ein Wort Schinkels (Nachlaß III, 358),
das hier Platz finden niöge: „Ein echtes Studium, be-
sonders aber eine fleißige Übung der Phantasie auf dem
Grunde klassischer Kunst bringt allein Harmonie in die
gesamte Bildung eines Menschen, der einer späteren
Zeit angehört".

Inzwischen würde ein weiteres Eingehen auf die
Baukunst und Bildnerei, besonders die der Römer und
des Mittelalters, von vielem Nutzen sein müssen, und
 
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