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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Ein Brief aus Worpswede
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0035

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Lm Bricf^aus Worpswede.

Worpswede. Nach einer Kohle-Zeichnung von Gtto Modersohn (Worpswede).

Ein Brief


Verehrter Herr Redakteur!
a Sie etwas von Worpswede zu hören wünschen, so
will ich gern versuchen, Ihren Wunsch zu befriedigen
und Ihnen nachstehend einiges darüber mitteilen, wovon
ich nur hoffen will, daß es Ihnen nicht allzu uninter-
essant ist.

Worpswede ist ein sehr bescheidenes Örtchen,
zwischen Bremen und Hamburg gelegen, in einer Gegend,.
deren landschaftliche Reize Bädeker, soviel mir bekannt
ist, mit keinem Worte Erwähnung thut. Und er thut

Worpswede.

recht daran, denn es giebt dort weder Berge von so
und soviel tausend Metern Erhebung, deren Gipfel den
Genuß eines „Panoramas" bieten, weder Wälder, durch-
zogen von sauber gehaltenen Wegen und gespickt mit
Ruhebänken eines Verschönerungsvereines, weder liebliche
Seen, die zu Kahnpartien im Mondschein Gelegenheit
böten, noch all die andern Requisiten, deren es bedarf,
um einer Gegend das Epitheton „schön" (das in solcher
Verbindung neuerdings etwas in Mißkredit zu geraten
anfängt) einzutragen. Diese betrübenden Mängel er-
klären ferner zur Genüge das Fehlen von mit allem
Komfort derNeuzeit eingerichtetenHotels, von Restaurants
und Kaffeehäusern, von Lustfuhrwerk u. s. w. u. s. w.;
kurz, wenn ein Sommerfrischler bisher etwa gehofft
haben sollte, dort ein Asyl finden zu können, so hat er
sich verrechnet. Solcherlei Hoffnungen muß ich als ge-
wissenhafter Berichterstatter unbarmherzig im Keime er-
sticken. Allzu rauh auch würden ihm da die Winde
um die Nase wehen, denen weite Moore und Heiden
einen willkommenen Tummelplatz bieten, und allzusehr
würde er in den kümmerlichen Hütten der Torfbauern
die gewohnte Bequemlichkeit vermissen in diesen
Hütten, deren sturmzerzaustes Strohdach dem Regen
und der streng verpönten Zugluft freien Zutritt ge-
währt, in deren einzigem Raume Mensch und Vieh in
schöner Eintracht beisammen Hausen, ein paradiesischer
Zustand, der in der „Chronik" der „Worpsweder" folgender-
maßen verherrlicht ist:

„Wenn der Mond durchs Fenster sieht

Findet er im Schlafe

Mann und Weib und kleines Kind,

Ziegen, Hühner, Schafe".

Nun werden Sie vielleicht fragen, was es denn
mit der „Chronik" der „Worpsweder" auf sich habe?
Diesen hochtrabenden Namen gaben wir einer Sammlung
 
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