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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [4]
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Pecht, Friedrich: Weihnachstbücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0081

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S8

Die letzten Pinselstriche. Nach Mrs. W. A. Llifford. — Weibnachtsbücherschau.

wichtiges Geschäft ruft ihn nach England zurück; wir
verlassen Paris binnen zwei Stunden. Das Porträt
muß mitgehen, ob es fertig ist oder nicht."

„Ach, nehmen Sie es mit, Susette; aber tragen
Sie es sorgsam; denn es ist noch nicht trocken", sagte
Lady Harlekston hastig.

„Und hier ein Brief für Mylady; Mylord sagte
mir, ich solle Sie bitten, ihn sofort zu öffnen."

„Ja, ja; aber nehmen Sie das Porträt, Susette.
Lassen Sie es gehen", flüsterte sie Carbouche zu, welcher
einige Schritte vorwärts machte, als sich Susette nach
der Staffelei wandte.

„Aber ich muß noch ein paar Striche machen",
sagte er verwirrt.

„Ach nein, nein", flüsterte sie wieder; „lassen Sie
es gehen. Tragen Sie es behutsam, Susette, und lehnen
Sie es gegen den Rücksitz. Sie brauchen nicht zurück-
zukehren. Ich werde in einem Augenblick hinunter-
kommen."

Als Susette verschwand, öffnete Lady Harlekston
den Brief ihres Gatten; ein zweiter lag darin. Sie
warf einen Blick auf die Adresse und zog schnell ihren
Mantel an.

„Aber nun, Madeleine, sagen Sie es mir —
sagen Sie es mir", drängte Carbouche.

„Monsieur, dieser Brief ist für Sie", sagte sie
höflich. „Und nun —"

Sie that zwei Schritte gegen die Thür.

„Aber sagen Sie mir", ächzte er, „in diesem letzten
Augenblick, ehe Sie gehen, sagen Sie mir, meinten Sie
es-"

/^s ist eine altbekannte Thatsache, daß auf dem Weihnachts-
Büchermärkte die Neu-Erscheinungen erst recht spät heraus-
kommen. So müssen wir denn auch Heuer wieder unsere Rund-
schau mit der Anzeige von Fortsetzungen früherer Publikationen
beginnen, von denen einige allerdings so fesselnd und reichhaltig
sind, daß man mit Stolz auf dieselben Hinweisen und wohl
fragen kann, welche Nation denn besseres zu bieten habe. Blickt
man vollends ein halbes Jahrhundert, ja nur um dreißig Jahre
zurück, und vergleicht man damit, was dort dem deutschen Volke
geboten ward, so erstaunt man wenigstens über den ungeheuren
technischen Fortschritt, den die vervielfältigende Kunst gemacht.
Unstreitig verdankt sie denselben vor allem der damals noch kaum
zu ahnenden Ausbildung der verschiedenen photographischen Ver-
fahren, die jetzt eine Unmittelbarkeit und Feinheit in Wiedergabe
aller Schöpfungen der verschiedensten Künste ermöglichen, von
der man früher keine Ahnung hatte. Jedenfalls muß das aber
zur Ausbildung des Geschmacks beim Publikum ganz außer-
ordentlich beitragen, da man jetzt jede künstlerische Handschrift in
täuschender Wahrheit und Unmittelbarkeit wieder erhält, die früher
vom Stecher wie Holzschneider oder Lithographen um die Wette
mißhandelt ward. Ja, die meisten der heutigen Unternehmungen
werden durch diese fraglose Trefflichkeit der Wiedergabe ihrer
Originale überhaupt erst ermöglicht. So vor allem das hier
schon im vorigen Jahre besprochene, jetzt glücklich zu Ende geführte
Unternehmen des merkwürdigen Hamburgers Allers, welches
„Unser Bismarck" betitelt ist (Stuttgart, Union, gebd. 40 M.),
aber nicht nur ihn selber und seine Familie, seine Geschichte und Um-
gebung, sondern vor allem auch seine zahllosen Verehrer, d. h. so
ziemlich das ganze deutsche Volk wiedergiebt. Es geschieht das aber
mit einer frappanten Wahrheit und Feinheit, wie wir ihnen Nichts
der Art in unserer Kunst an die Seite zu setzen wüßten. Denn als
Schildere! unseres deutschen Bürgertums aller Klassen steht Allers
ob seiner merkwürdigen Objektivität, die alle Menschen mit einer

Ein spöttisches Lachen kam von ihren Lippen.

„O Monsieur —", sagte sie. „Aber das Porträt
ist fertig, und es ist entzückend. Adieu. Tausend Dank!"
Und sie schwebte aus dem Zimmer.

„Madeleine! rief er aus, und es war ihm, als
würde er langsam zu Stein; aber sie eilte schon die
Treppe hinab.

„Adieu!" lachte
sie zu ihm auf.
„Das Porträt ist
fertig, und die letz-
ten Pinselstriche
waren ausgezeich-
net. Das ist alles,
was ich wollte."

Er zog sich zurück
und stand, den ver-
störten Blick auf die
leere Staffelei ge-
richtet. Drunten
knirschte der Kies;
sie war gegangen.
Mechanisch riß er
den Umschlag des
Briefes auf, den er
noch in der Hand
hielt. Ein Dutzend
Banknoten flatterte
heraus und zer-
streute sich zu seinen
Füßen.

WeihnachtDücherschau.

anscheinend photographischen, in Wahrheit aber weit über all
Photographie hinausgehendcn feinen Beobachtung des ganze,
Gebahrens und Seelenlebens wiedergiebt, geradezu einzig da. —
Man hat in neuerer Zeit häusig von seinen Rückschritten gefabelt
Daran ist offenbar nur so viel wahr, daß er seit Beginn seine,
beiden Bismarck-Werke ungefähr aus demselben Platze stehen ge
blieben ist, was ihm gewiß jeder danken wird, der sie besitzt uni
ihn hier beim zweiten noch ziemlich genau so findet, wie bei der
ersten Heften seines Vorgängers. In dem uns jetzt vorliegender
Werke zeigt er uns (wir reden hier von dem in diesem Jahre er-
schienenen Teile desselben) erst Varzin und das lustige Getreib,
seiner Enkel dort, Bismarck selber aber bloß einmal mit Buche,
arbeitend. Dann finden wir ihn mit Major v. Wißmann ir
Kissingen, und endlich im stillen Friedrichsruh mit seinen,
wunderbaren Walde. Da beginnt aber schon bald in dem jo
dicht an der Hamburg-Berliner Eisenbahn liegenden, also vie
zugänglicheren Orte jene der leidenschaftlichen Verehrung de-
deulschen Volkes für seinen Helden zu dankende Ueberschwemmunc
mit Deputationen und Besuchen, mit Geschenken, Briefen un!
Telegrammen, die am 80. Geburtstage des Fürsten ihren Höhe-
punkt erreichend, heute noch immer nicht aufgehört hat. Sie boi
begreiflich dem Schildertalent wie dem kostbaren Humor unseres
Künstlers den reichsten Stoff, den er denn auch in der genialsten
Weise auszunützen versteht. Da sehen wir bald auswartendc
Vierländerinnen, bald eine Gesandtschaft von phantastisch auf-
geputzten Kameruner Negern unter Führung des langen Welt-
wanderers Ehlers, der aber bald durch Humperdinck und seine
Frau abgelöst wird, die ihrerseits wieder erst einem köstlich einsam
im Varziner Park spazierenden Fürsten, dann einer schlichten
Pastorsfrau Platz machen, die mit frohem Stolze ihren dicken
Jungen, „der auch Otto heißt", dem Fürsten präsentiert. Ihr
folgen aber unmittelbar unter der Führung des Admirals Livonius
vier Mecklenburger blaublütige Damen von einer wahrhaft
 
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