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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Pecht, Friedrich: Weihnachstbücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0082

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lveihnachtsbücherschau.

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prächtigen Feinheit der Charakteristik. Sie würden einem un-
übertrefflich scheinen, wenn ihnen nicht auf dem Fuße ein ganzes
Dutzend kleiner und großer Backfische — offenbar eine Pension
— nachzöge, deren Unschuld und Einfalt oder auch gelegentliche
Schalkheit geradezu entzückend geschildert wird, wie sie dem mächtig
dastehenden Fürsten mit ihren Sträußchen und einem Ausdruck
voll ein wenig ängstlicher Freude entgegengehen. Da fragt man
sich doch gleich: „Wo ist eine andere Nation, deren acht- bis
zwölfjährigen Mädchen so die vollkommenste Unschuld und Rein-
heit auf dem Gesichte geschrieben stünde?" Die letzten und ältesten
drei dieser heiligen Schar zeigen dann allerdings schon die keimende
Koketterie — jede aber ist ein vollendetes Meisterstück von
Individualisierung, da keine der anderen gleicht. Hier bleibt
denn auch Alters ganz ohne Nebenbuhler. Es folgt nun eine
lange Reihe Herren und Damen vom Hamburger Fackelzug,
dann die Baumeister des Hamburger Rathauses, köstliche Musikanten
und endlich die „Getreuen von Jever" — zusammen eine Reihe
Von so charakteristischen Männerköpfen, daß man meint, diese
querköpfige, aber ehrliche und treue, ewig durstige und weniger
geistvolle als durch und durch brave deutsche Rasse von heute
noch nie so vortrefflich geschildert gesehen zu haben Ja, man
muß schon auf des Franz Hals Schützenbilder oder des Ghirlandajo
Florentiner Bürger znrückgehen, um ähnliches zu finden. Wer
aber die verlorene Freude und den durch die ewige Zänkerei
erschütterten Glauben an seine Nation wiedergewinnen will, der
schaffe sich dies Werk an, da wird er ihn sicherlich wiederfinden!

Bei der „Oesterreichisch-ungarischen Monarchie",
von deren Publikation diesmal Heft 217—38 vorliegen (Wien,
Alfred Holder), wird man freilich
keine solchen triumphierenden Em-
pfindungen haben, wenn man
dieselben durchsieht, obwohl sie
an innerem Gehalte glücklicher-
weise gegen früher nicht verloren
haben. Aber sie schildern aus-
schließlich Böhmen und Ungarn,
die sich wenigstens hier insofern
gleichen, als man nach Durchsicht
aller Bilder zu der unumstöß-
lichen Meinung kommt, daß beide
Länder noch immer durchaus von
der Aristokratie regiert werden,
deren Schlösser weit mehr als
die Hälfte der Bilder füllen,
während man vom Bürgertum,
das bei Alters die Hauptrolle
spielt, recht wenig sieht.

Umsomehr trifft man davon
in dem neuesten (17.) Band der
„Meisterwerke der Holz-
schneidekunst" (Leipzig, I. I.

Weber), die, aus der Illustrierten
Zeitung mit Geschmack zusammen-
gestellt, ihren Schwerpunkt eben
doch in der Schilderung der
Deutschen finden, wenn uns auch
Kunstwerke von allen Nationen
vorgesührt werden. Aber daß
sie Feldmanns „Kreuz-
schleppung", Herrn. Kaul-
bachs „Unser täglich Brot
gieb uns heute" oder Falken-
bergs „Hypnose" an Wahrheit
erreicht, findet man nie. Am
wenigsten befriedigen verhältnis-
mäßig die landschaftlichen Bilder,
wohl weil sie der gegenwärtig
herrschenden Bergfexerei zu große
Konzessionen in der Auswahl
ihrer Stoffe machen. Immerhin
ist aber der Fortschritt des Holz-
schnittes wenigstens nach der male-
rischen Seite hin unbestreitbar.

Zu den interessantesten Er-
scheinungen unserer Weihnachts-
litteratur gehört jedenfalls die
neue, Heuer ihrem Abschlüsse zu-
geführte Schillerbiographie
von Wychgram. (Bielefeld,

Velhagen L Klasing, gebund. 12 M.). Vor allem weil sie
ein ganz eigenartiges Material von zahlreichen Porträten,
Landschaften und selbst Briefen mit großem Geschick verwertet.
Denn es dient nicht nur dazu, uns den Dichter selber von früher
Jugend an, seine Verwandten und Freunde oder selbst Zeit-
genossen in Faksimile-Nachbildungen der gleichzeitigen Originale
vorzuführen, sondern uns auch seine verschiedenen Wohnungen
und Aufenthaltsorte, endlich eine Anzahl von Szenen aus seinen
Stücken vorzuführen, wie sie von gleichzeitigen Künstlern, z. B.
Chodowiecky u. a., aufgefaßt wurden. Das giebt nun trotz, oder
vielmehr wegen der trostlosen Unvollkommenheit der meisten dieser
Machwerke unserer damaligen Jllustrationskunst, doch alles zu-
sammengenommen einen höchst lebendigen Begriff von der da-
maligen Zeit, ihrer unglaublichen Philisterei und Armseligkeit
wie ihrem merkwürdig geringen künstlerischen Vermögen. Sogar
unter den vielen Bildern des Dichters selber sind nur zwei halb-
wegs gut — die Danneckersche Büste und Graffs Lelporträt,
alle anderen sind oft erbärmlich, dienen aber, wie die vielen
Bilder der unendlich bescheidenen Wohnungen, doch dazu, uns
ein, wie gesagt, außerordentlich lebendiges Bild dieser elendesten
Periode Deutschlands zu geben, aus der uns Schiller und Goethe
wie auch Lessing erst den Weg der Befreiung weisen sollten.

Den merkwürdigsten Gegensatz zu dieser kulturgeschichtlich
so hochinteressanten, aber künstlerisch unglaublich unbedeutenden
Produktion bildet die ihr in Format und Erscheinung ganz ähn-
liche, an echtem künstlerischen Wert aber durch mehr als ein
Jahrhundert von ihr getrennte, unter dem Titel „Krieg und
Sieg" vonPflugk-Hartung (Berlin, Schall L Grund, gebd.

6 M-) erschienene Geschichte des
großen Jahres 1870—71. Für-
wahr, man sollte es nicht für mög-
lich halten, daß ein großes Volk in
kaum zwei Menschenaltern nicht
nur in seiner staatlichen Existenz
und politischen Machtentfallung,
sondern auch in seiner Kunst-
entwicklung einen ganz ungeheuren
Weg so glanzvoll zurücklegen
könne, als es sich in diesem Buche
vom deutschen Volk offenbart.
Denn dieses Werk giebt uns nicht
nur eine Anzahl vortrefflicher
Bildnisse der beiderseitigen Führer
in dem großen Kampfe, der
unsere nationale Einigung als
Sicgespreis im Gefolge hatte,
sondern es bringt auch in einer
langen Reihe meist gelungener
Autotypien viele der berühmteren
Bilder unserer ersten Meister
welche die Schlachten und sonstigen
Ereignisse dieses Jahres schildern.
Wir finden sehr vieles, was A. von
Werner, Bleibtreu, L. Braun,
Faber du Faur, Camphausen,
Röchling, Emele und zwanzig
andere in Darstellung der be-
deutendsten Momente desKampfes
geleistet und man erstaunt dar-
über, wie viel Hochachtbares da
enthalten ist. Einzelnes, wie die
Wernerschen Bilder von der
Kapitulation bei Sedan oder der
Proklamation des Kaiserreichs
darf man unbedingt klassisch
nennen, da es die größte Unmittel-
barkeit und Frische der Schilder-
ung mit der vollendetsten realist-
ischen Form vereinigt. Das Buch
sollte als Hausschatz in jeder
deutschen Familie zu finden sein,
die Söhne zu erziehen hat, da
auch der Text allen billigen An-
forderungen entspricht.

Ungleich bedeutsamer ist dieser
beiTaneras „Erinnerungen
aus dem Feldzug von
1870—71 (München, Beck, voll-
ständig in 22 Lieferungen L 50 Pf.),

Grabftguv. von Heinrich Überbacher.

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