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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Schunck, H.: Nur ein Modell: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0316

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Mur ein Modell.

Skizze von H>. Zchunck. ^ ^ ^ ^

Ein trüber grauer Sonntagnachmittag im Spät-
herbst, ein Tag, an dem die Leute nur aus Langeweile
spazieren gehen. Im Innern des englischen Gartens,
weit drinnen, lehnte ein junges Mädchen an einer ein-
samen Brücke. Dort kam das Sonntagspublikum nicht
vorbei. Ein schmales, ziemlich tiefes Wasser floß unter
der Brücke durch, schmutzig grün in der Färbung; ein
paar welke Blätter, die letzten, die der Wind herab-
geschüttelt, schwammen oben auf; ganz sachte nahm sie
die Strömung mit, grüne Furchen hinter ihnen ziehend.
Mit starren Augen blickte ihnen das Mädchen nach. . .

-t- -i-

-t-

Gleich dreiviertel neun und sie hatte eine gute halbe
Stunde in die Akademie!

Rasch fuhr sie mit der Brennschere in das Haar,

ein paar leichte große Wellen, wie er es gern hatte;
nun die Stirnlöckchen, nur schnell. . .

„Marie, gehst du schon", stöhnte die alte Mutter
aus ihren ungelüfteten Kissen, „mach mir doch noch die
Milch heiß". — „Das muß Franz thun, wenn er nach
Hause kommt, ich habe keine Zeit mehr", war die Ant-
wort. Marie betrachtete eben ihre Frisur im Scherben
eines Spiegels. Dann schlüpfte sie behutsam in das
geschmackvolle schwarze Kleid mit viereckigem Halsaus-
schnitt, das er so liebte an ihr und, das sie für teures
Geld jede Woche aufs Neue ausleihen mußte. Nun noch
die rehledernen Handschuhe, von einer Freundin geborgt,
wo waren sie nur. Das dunstige Zimmer, Küche, Schlaf-
und Wohnraum zugleich war so eng, daß sie sich in dem
neumodischen weiten Rock kaum umdrehen konnte. End-
lich war sie fertig und ging rasch
die Straße hinab bis zum nächsten
großen Schaufenster; dort prüfte sie
noch einmal sorgfältig ihren Anzug,
ob das Mützchen auch so kokett saß
wie er es liebte, ob das Jacket an

der Taille keine Falten warf.

Das war vor einem halben
Jahre gewesen. — Wie viel hatte
sie ihm seither zuliebe gethan!

Sitzungen, so viel er wollte,
früh morgens und spät abends; so
spät, daß sie sich fürchtete vor dem
Heimgehen. Sitzungen auch ohne
Pausen, auch ohne Mittagessen. Sie
hatte Schuhe getragen, die ihr so
eng waren daß sie Qualen ausstehen
mußte; Kleider, in denen sie fror
und die ihr den halben Verdienst
kosteten. Dann hatte er sie gebeten,
ja, richtig gebettelt hatte er, sie
möge ihre Arme und Schultern
malen lassen; erst war's Empire-
kostüm, dann Halbakt. Ach, er hatte
so warme braune Augen und er
konnte sie so lieb ansehen! Und sie,
sie hätte ja ihr Herzblut für ihn
hingegeben.

Ob er geahnt, wie sie ihn liebte?
Und dann — ja dann hatte sie
ihm Modell gestanden zur büßenden
Magdalena, — Aktmodell — viele
Wochen lang.

Wenn das der Bruder und die
Mutter wüßten! Sie hatte ihnen
versprochen, — dem Vater auf dem
Totenbette — niemals etwas anderes
als Kopfmodell zu sein. Und jetzt?
— ihre Thränen flössen aufs Neue,
und sie hatte doch schon so viel da-
rüber geweint.

Nun, und dann kam der letzte
Tag. Gestern. War es gestern? es
schien ihr ein Jahr zu sein. Sie hatte

Zirgsrieds Tod. von Hermann Hendrich.
 
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