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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0078

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56

Die letzten PmsePriche.

Nach Mrs. lv. r. Llifford.

Ans dem Englischen übertragen von Marie von Schund.

(Sckluß aus dem vor. Hefte.)

Nachdruck verboten.

as Porträt ist doch nahezu fertig", sagte sie. „Sehen
Sie her, ich will den Kragen hier befestigen",
und sie legte ihn rund um einen Teil der Ornamentik
an dem Rücken des Stuhles, auf welchem sie gesessen
hatte. „Versuchen Sie, ihn hineinzumalcn, Monsieur,
während ich ein wenig ausruhe; denn ich bin müde und
kalt geworden." Sie schien erschöpft, und es schien
etwas Rührendes in in ihrem Verhalten, als sie lang-
sam auf einen der Stühle zuschritt, die an dem kleinen
Tische standen. Vielleicht besänftigte ihn das; denn er
begann, den kleinen grauen Pelz zu malen. Ein langes
Stillschweigen. Einmal wanderten seine Augen zu ihr
hin, wie sie so dem Feuer gegenüber saß; ihr Gesicht
war von ihm abgewandt, aber ihre schöne Gestalt wurde
noch gehoben durch den Schein aus den Feuerbränden.
Jetzt erhob sie sich und ging im Atelier umher, und
wieder lauschte er aufmerksam und dankbar dem Geräusch
ihrer Gewänder; es war ein so ungewohnter Laut in
diesem Raum.

„Monsieur", sagte sie, „da steht eine Leinwand
hinter der Mappe dort im Winkel. Die Vorderseite ist
gegen die Wand gekehrt, aber wenn ein Bild darauf ist,
darf ich es wohl einmal ansehen?"

„Wenn ich wünschte, daß es gesehen würde, würde
die Vorderseite nicht gegen die Wand gekehrt sein; des-
halb müssen Sie entschuldigen, Madame."

Sie schritt weiter, und nun stand sie an seiner
linken Seite, dicht neben der Hand, welche die Palette

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hielt. Er arbeitete weiter, als wüßte er nicht, daß sie
da war. Der graue Kragen war nahezu vollendet, und
er ging langsam mit dem Pinsel über das Bild, hier
und da einen Strich machend, als thäte er's im Traum.
Er nahm eine Falte hinweg, welche sich oberhalb des
Pelzwerkes an dem Halse zeigte. Sie trat ein wenig
näher.

„Henri", sagte sie sanft, „die Kastanien fallen im
Walde von Marly." Der Pinsel fiel fast aus seiner
Hand.

„Ja", antwortete er, „sie fallen, und die Blätter
liegen tot, wie alles einmal tot liegt, früher oder später."
Seine Stimme hatte ihre Barschheit verloren.

„Der Sommer ist vorüber; aber es ist noch nicht
Winter, und noch nicht alles ist tot. Ach, fahren Sie
fort; ich sehe Ihnen so gern zu. Das kleine graue
Fell erinnert mich —"

„Warum haben Sie es behalten?" fragte er durch
die Zähne.

„Zum Andenken — obgleich es unmöglich wäre,
zu vergessen", antwortete sie. „Geben Sie es mir,
lassen Sie es mich umnehmen."

„Gnädige Frau werden sich gern wieder setzen
wollen", sagte er, in seinen förmlichsten Ton zurück-
fallend.

„Nein, lassen Sie mich hier stehen, Sie sind ja
gleich fertig, und es ist nicht nötig, daß ich Ihnen
wieder sitze, nicht wahr? Danke Ihnen, Monsieur",
und sie legte den Kragen um ihren Hals.
„Ich liebe das Pelzchen", flüsterte sie. „Nein,
halten Sie nicht inne", fuhr sie eilig fort,
„und sehen Sie mich nicht an; es ist nicht
nötig, denn Sie vergessen mein Gesicht nicht."

„Nein, ich vergesse es nicht", sagte er,
die Augen auf das Bild gerichtet.

„Das Kinn liegt ein wenig schwer auf
dem Kragen. Nein, fühlen Sie — ja, ja
— fühlen Sie einmal her." Sie ließ ihr
Gesicht einen Augenblick auf seinem Ärmel
ruhen und zog sanft seine rechte Hand zu
der Palette hinüber und führte dann seine
Linke an ihr Kinn. „Erweckt die Berührung
des Pelzwerks nicht Erinnerungen?" fragte
sie, als sie ihren Kopf wieder erhob.

„Ich habe niemals vergessen", ant-
wortete er mit brechender Stimme, und das
Kinn auf der Leinwand wurde wieder rund
und die Linien in der Umgebung gemildert.

Sie begann wieder mit kaum hörbarer
Stimme:

„Ich denke so oft an den Forst und
an den Pfad, der zu den Springbrunnen
führte. Dort spielten wir unser kleines
Spiel — "

„Es war nur ein Spiel." Er wandte
den Kopf halb zu ihr um; aber sie legte ihre
Hand darauf und drückte ihn sanft von sich.
 
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