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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Haack, Friedrich: Giovanni Segantini
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Das Lächeln des Michel-Angelo: ein Erinnerungsblatt aus Florenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0474

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374

Giovanni segantini. von F. Ha ack.

^chasflall im Engadin, von Giovanni Segantini.

Bis hierher muß man Segantini unbedingt Recht geben. Nicht unanfechtbar ist dagegen der Grund,
den er für das Unreife im zeitgenössischen künstlerischen Schaffen und für die Teilnahmlosigkeit der großen
Masse an demselben ansührt. Wir stünden am Anfang einer neuen weltgeschichtlichen Epoche. Jede Epoche
beginnt mit der Verneinnng des Alten, der alten Ideale. Wie in den ersten Zeiten des Christentums die
antike Kunst und damit die Kunst überhaupt, so wird jetzt die Kunst der vergangenen Jahrhunderte und
damit die Kunst überhaupt verachtet. Sobald die heutige materialistische Übergangsperiode überwunden ist,
wird sich die Sachlage wieder ändern. Die neue Zeit wird sich neue künstlerische Ideale schaffen, wie einst-
mals das Christentum. Von einer sozialen Evolution erwartet der Künstler ähnlich wie Walter Crane einen
neuen Aufschwung der Künste. Denn — und nun führt Segantini wieder eine unbestreitbare, tiesbedeutsame,
allgemeine Wahrheit an — die künstlerische Empfindung wurzelt im tiefsten Innern des Menschen. Sie ist
unauflöslich mit seinen Leidenschaften verbunden. Was auch Materialisten, Nihilisten, Thoren sagen mögen,
die künstlerische Empfindung ist unzerstörbar. Sie bildet einen Teil der Natur.

Da§i Lächeln dcF Michel-Angelo.

Ein Lrinnerungsblatt aus Florenz.


(^F!n den Cascinen, dem waldartigen Park der Medicäer-
stadt wandelt auf dem schönen, frischgeebneten Pfad
zwi chen den Bäumen dahin eine einsame Männergestalt
im schwarzen Gewände; hoch und gewaltig, und doch
wie gebeugt von Gedanken — tief in sich versunken.
Finster zusammengezogen sind die buschigen Brauen, die
Stirne gefurcht; und nicht achtet der Gewaltige, der da
schreitet, des jungen Frühlings, der Nachtigallen, der
Blumen und Blätter am Gezweig der Büsche. Er sieht
nicht das liebliche Bild, das Blumen und Büsche um-
rahmen — und es ist doch des Anschauens wert, ist so
recht wie ein Teil vom Frühling selber: zwei Menschen
in der Blüte der Jugend treffen einander dort zwischen
den Büschen und erschrecken errötend. Ach, aber mit
frohem Schreck; denn sie lieben einander und schon so
lange. — Wie lange hofft und harrt der junge Egisto
mit Zagen auf den heimlichen, unbewachten Augenblick,
den rechten, an dem er Donna Giovanna zu Füßen

stürzen wird, und ihr alles sagen, Donna Giovanna, der
Lieblichen, Züchtigen, mit den blonden Zöpfen, dem feinen
Profil und den strahlenden Augen.

Er stürzt ihr nun freilich nicht zu Füßen, wie er
immer gemeint hat; er stockt und zittert, und dann auf
einmal fließt ihm doch in warmen, aufrichtigen, zärt-
lichen Worten die treugemeinte Liebeswerbung von den
Lippen; und das reizende Mädchen lächelt und errötet
wieder, und läßt die feine, alabasterweiße Hand, die sie
ihm zum Gruße gereicht hat, in seiner heißen und flüstert
mit gesenkten Augen:

„Messer Egisto, sollte nicht mein Vater?" —

Allein nur Sitte und Schamhaftigkeit legen ihr die
abweisenden Worte auf die blütenfrischen Lippen, nicht
die Stimme ihres Herzens, in dem schon lange das
wohlgestaltete Bild des jugendfrischen, heitern Jünglings
lebt. Sie weiß auch gar wohl, ihr Vater, der edle,
ehrenwerte, allgemein geehrte Tuchmachermeister Bernardo
 
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