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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Schunck, H.: Nur ein Modell: Skizze
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Vincenti, Carl Ferdinand von: Viktor Tilgner
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0318

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Nur ein Modell, von ls. Schunck. — Viktor Tilgner.

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die ganze Nacht bei der totkranken Mutter gesessen und
gewacht, bis diese verschieden. Und am Morgen war sie
dennoch ins Atelier gegangen, wie gewöhnlich; die Sehn-
sucht trieb sie hin, die Sehnsucht nach einem freund-
lichen Blick, nach ein bischen Liebe. Ihren Kummer
freilich durfte er nicht erfahren, er hätte ihm vielleicht
die Stimmung verdorben. Gewaltsam die Thränen ver-
schluckend, brauchte sie länger zum Entkleiden als sonst,
und machte sich einen Vorwurf daraus, hörte sie doch
an seinem Schritt, an der Art, wie er die Staffelei
rückte, daß er aufgeregt war, bereit zur Arbeit. Oh!
sie empfand jede seiner Stimmungen. Als sie hinter der
spanischen Wand hervortrat, musterte er sie mit leuch-
tenden Augen; es überlief sie heiß dabei. Dann zog
er sie bei der Hand vor das Bild und erklärte ihr, wie
fleißig sie heute sein müßten, denn morgen schon werde
die Arbeit zur Konkurrenz abgeliefert. Er hatte so freund-
lich, fast zärtlich, mit ihr gesprochen, wie zu einem Kinde.
Hierauf hatten sie zusammen gearbeitet, stundenlang,
schweigend und eifrig. Sie hatte mäuschenstill gehalten,
ob ihre Glieder auch schmerzten und ihre Augen brannten.
In der großen einzigen Pause war er wieder so zärt-
lich gewesen und gestreichelt hatte er sie, ja gestreichelt.

Sie sehe müde aus, hatte er gesagt, und ihr dann Wein
zu trinken gegeben. Später wollten sie wieder arbeiten,
nur ein paar Pinselstriche noch vor der Dämmerung.
Doch es war nicht dazu gekommen. Es hatte geklopft,
und er war gegangen, die Thüre zu öffnen.

„Klara, du!" wie hatte er es gejubelt, in welchem
Ton überströmender Zärtlichkeit! alles vergessend in der
neuen Umarmung. Was war sie ihm daneben? Das
ffackte Modell, weiter nichts.

„Sie können gehen, Modell" — wie fremd das
geklungen hatte, als ginge sie's nichts an; „Sie können
gehen. . . hier ist ihr Geld..."

. .. Sie können gehen . . und die andere? ach, es
war seine Braut gewesen, heute wußte sie es.

Ja, freilich, sie konnte gehen . . .

In lautlosem, herzbrechendem Schluchzen bog sich das
Mädchen weit über die Brüstung. Das grüne Wasser
schlug mitleidig mit leisem Gurgeln über ihr zusammen.
— Am andern Tag schaffte man den toten Körper in
die Anatomie, neugierige Studenten beugten sich darüber.

Der Name des Künstlers jedoch stand rühmend in
allen Zeitungen, denn seine büßende Magdalena hatte
die erste Medaille erhalten.

Viktor Gilgner -j-.

Vektor Tilgner.

^er Meister ist tot —
aber sein Mozart-
Denkmal steht in heiterer,
marmorner Schöne mitten
in Wien und in diesem
milden, lyrischen Marmor
lebt Tilgner fort. Des
Meisters früher Heimgang
wirft einen Schimmer auf
das Werk und entwaffnet
manchen Einwand. Tilgner
war unser erster Bildnis-
plastiker, ein „Moderner",
ehe man noch an den
großen Streit dachte. Hätte
er uns jedoch nur lebens-
volle Brustbilder in Erz,
Marmor und Terracotta ge-
geben, er wäre uns doch sein Populärstes schuldig
geblieben: Mozart. Es dauerte lange, bis er zum

Monumentalen kam. Man hatte ihn einmal als Por-
trätplastiker in der zeitgeschichtlichen Wiener Kunst
untergebracht und aus diesem Fach sollte er sich

nicht herausrühren, zeitlebens sollte er für die Büste
etikettiert bleiben. Das hat ihm manchen Verdruß be-
reitet, denn er strebte nach Monumentalem, er wollte auch
Denkmale schaffen für das freie Sonnenlicht, die zum
Volke sprächen, nicht nur Bildnerwerke für den Besteller,
für Palast und Haus. Und es ward ihm vergönnt,
deren zwei zu schaffen: ein ideales, unser Mozart-Denk-
mal, ein realistisches, das Werndl-Monument in Steyr.
Die Kolossalherme für den Komponisten Hummel, womit
er Preßburg, wo er 1844 als Offizierssohn geboren
worden, beschenkte, sei dabei nur beiläufig erwähnt. Die
Anzahl seiner Büsten ist Unzahl; Tilgner war in der

Mode und konnte bisweilen diesen Aufträgen kaum ge-
nügen. Mit der Wolter-Büste brach er sich Bahn; das
Debüt war überraschend, denn was Tilgner bot, war
neu in dem damaligen Wien der gefällig konventionellen
Porträt-Bildnerei. Nicht allein das Feingefühl des neun-
undzwanzigjährigen Bildners, sein scharfes Auge für das
Individuelle, das eminent Persönliche in seiner Art, war
überraschend, auch das Traktament mit dem kräftig
anmutigen Barockzug, der ihm von Deloye, dem da-
mals in Wien sehr beliebten französischen Plastiker,
kam, übte einen neuen Reiz. Jung, kühn, selbst über-
mütig trat das neue Talent auf den Plan, und so ist
Tilgner geblieben. Seine Kunst, die fast immer zu
überraschen verstand, alterte nicht.

Ob sein Mozart sein Bestes geblieben wäre, wer
vermöchte es zu sagen? Und ob bei weiterem Aufstieg er
sich nicht verstiegen hätte? War er ja doch impulsiv,
Temperamentkünstler wie wenige, nervös und zum Über-
schwang geneigt, nicht allein im Stil und Traktament,
sondern auch in Herausarbeitung gewisser individueller
Bildniszüge. Manche seiner Porträtbüsten aus der
letzten Zeit leiden darunter. Das charakteristische Detail
interessierte ihn oft mehr als der Totaleindruck. Be-
denken gab's bei Tilgner nicht, er war aufrichtig bis zur
Rücksichtslosigkeit, wahr bisweilen bis zur Peinlichkeit.
Obwohl schönheitstrunken, war er kein Schönheits-
künstler. Über das Klassische hatte er sich seinen ganz
Persönlichen Begriff gebildet, er suchte es vor allem im
Harmonisch-Wahren. Malerisch veranlagt, wie nicht viele
Bildhauer, liebte er die malerischen Stilarten, er ver-
wertete Barock und Rokoko, Üppiges und Zierliches,
Prunkhaftes und Graciles, je nach der Augenblicks-Ein-
gebung, allemal aber mit Geschmack. Es war sein
Eigenes, daß er im Ideal-Monumentalen den Modernen
niemals verleugnete, seine Grabdenkmäler (Gräfin Ra-

Die Kunst für Alle XI.

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