Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

DOI Artikel:
Neujahrskarten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0151

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Neujabrskartcn.

NS

Franz Simm i-c.

Neujahrskarten.

ylvesternacht! Vom Turme schlägt die zwölfte
Stunde. Froh klingen im trauten Kreise die

8echer, die Gläser, die Humpen zum „Prosit Neujahr"!
Lurchs geöffnete Fenster tönt es hinaus, die Nachbarn
rufen sich's zu, alles eilet herbei, mit freudigem Zu-
ruf das neue, junge Jahr zu begrüßen. Vorüber sind
sie, alle die Mühen und Plagen, die stetige Hetzjagd des
alltäglichen Lebens, mit frohem Hoffen gehen wir ihm
entgegen, dem jungen Jahre, in dem immer alles besser
werden soll, als es im verflossenen gewesen; deshalb
beglückwünschen wir uns dazu, den ersehnten Tag
erlebt zu haben! Wo Freunde in der Ferne weilen,
wir senden ihnen unfern Glückwunsch nach, unseren
Gönnern rufen wir uns mit einer Karte ins Gedächtnis,

wenn es unmöglich
ist, ihnen mit Prosit
Neujahr die Hand
zu schütteln.

Mit der Post
fliegen sie uns zu,
am ersten Neujahrs-
morgen, die Karten
und Kärtchen ohne
Zahl, in Buntdruck,
mit Goldlettern und
sinnigen Anspie-
lungen geziert. Was
war es auch für
Mühe für Freunde
und Freundinnen,
im Kaufladen unter
den Hunderten von
Karten die richtige
zu wählen, um in
zarten Andeutungen
der Blumensprache,

Georg Dieckmann s-o. in kräftigem Humor

oder derberem Witz die Beziehung des Absenders und
Empfängers zu kennzeichnen, ganz besonders, wenn es sich
etwa um einen anonymen Glückwunsch handeln sollte.

Wie alles, sind auch die Neujahrskarten der Mode
unterworfen; es hat sich sogar eine eigene Industrie ent-
wickelt, die mit allen erdenklichen Mitteln und Mittelchen
stets Neues ersinnt, und auch genug der Geschmacks-
verirrungen zu Tage fördert. Wer kennt nicht die barocken
Kärtchen mit spitzendurchbrochenem Rande, oder die
Bildchen,
die wie Cou-
lissen sich
öffnen und
schließen,

Feen, Rosen-
wagen,

Täubchen
und Guir-
landen von
Blumen
u. s. w., alles
beweglich,
halberhaben

geprägt, das größte Entzücken unserer Kleinen bilden? Der
Brauch, verzierte Neujahrskarten zu senden, hat sich wie
so vieles andere von England über den Kontinent ver-
breitet und sich rasch bei uns eingebürgert; wir fügen
aber, dem deutschen Wesen entsprechend, statt die süß-
lichen Engelsfigürchen, ewigen Pensees, Rosen, Veilchen,
kckistletoes oder lVater-colour I^anckscrapes fortwährend
zu variieren, gerne eine Portion Humor hinzu, der er-
frischt und ergötzt, den wir mit reichten uns verkümmern
lassen.

Es ist darum nicht zu verwundern, wenn unsere
Künstler, einer Mode folgend, nicht durch überall käuf-
liche Karten, sondern durch einen für den bestimmten
Zweck mit Stift oder Farbe gezeichneten Neujahrsgruß
 
Annotationen