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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0080

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Die letzten Pinselstricbe. Nach Mrs. N). ll. Tlifsord.

Sturster vor der Barre. von Bans Petersen.

„Nein", sagte sie, „denken Sie an das Mädchen
von einst, Henri" — ihre süße Stimme klang beinahe
tragisch — „und wie Sie und ich uns eine Rolle aus
den Tagen der Königin anmaßten. Sie gingen mit
mir en polisson kostümiert, und ich war Hofdame im
babit cke Ickarl)?".

„Es war nur ein Spiel", wiederholte er.

„Mir war es mehr", antwortete sie. „Sie sagten
einmal, als der Wind in mein Haar wehte, es sei wie
Sonnenschein und Luft. Nehmen Sie die Glätte dort
hinweg", sie deutete mit dem Kopfe nach dem Bilde,
„und geben Sie dem Haar etwas von dem Winde, so-
daß ich mich erinnern kann."

„Es ist alles zu spät", sagte er bitter, indem er
von seiner Palette etwas Farbe von einer lichteren
Schattierung nahm, als diejenige, welche er schon an-
gewandt hatte und verarbeitete sie im Haar. „Es war
wie Gold", sagte er zu sich. Sie schien gekränkt, als
sie wieder anhub.

„Ich kann Ihr Gesicht noch so deutlich vor meinem
Geiste sehen, als wenn alles erst gestern gewesen wäre;
aber Sie haben vergessen." Der Vorwurf schien ihn
aufzustacheln.

„Niemals!" Es war wie ein Schmerzensschrei.
Sie stieß einen langen Seufzer aus und fuhr fort:

„Ich denke oft an Ihre Augen, wie sie auf mich
niederblickten. Haben Sie meiner vergessen?"

„Nimmermehr, Madeleine", rief er aus und kehrte
sich wieder nach ihr um; aber wieder legte sie ihre
Hand auf ihn und hielt sein Gesicht von sich abgewandt.

„Nein, nein", sagte sie; „fahren Sie fort und
sehen Sie mich nicht an; denken Sie auch nicht an mich,
wie ich jetzt bin. Denken Sie an mich, wie ich damals
war, als ich unter den Kastanien stand und fühlte, wie
mir die Röte ins Gesicht stieg; sicher war es ein anderes
Rot als das, welches Sie mir dort gegeben haben. Sie
sagten — aber ich scheue mich, an Ihre Worte zu

denken", und ein Zittern ging durch ihre Stimme; „es
hat mich so oft zu wissen verlangt, ob sie wohl auf-
richtig gewesen."

„Sie alle waren aufrichtig." Und er berührte die
Wangen des Porträts.

„Sie^ sagten, daß Sie mich liebten."

„Ja, ich sagte, daß ich Sie liebte, Madeleine."

„Aber bald vergaßen Sie es — Sie haben seit-
dem andere Frauen geliebt und ihnen dasselbe gesagt."

„Ich habe jene Worte zu keiner andern Frau ge-
sprochen. Ich bin stumm gewesen und habe der Er-
innerung gelebt." Und noch immer wandelte ihm un-
bewußt der Pinsel über die Leinwand, bis das Mau
von ehedem wieder in die Augen zurückgekehrt war und
das Gold ins Haar und die Weichheit der Jugend zu
der Haut, bis das Gesicht der künstlich aufgefrischten
Frau mittlerer Jahre verschwunden war und an deren
Stelle das schöne Weib von zwanzig Jahren früher
wieder erstand. Und ein Lächeln brach aus seinem
Antlitz, wie er liebevoll die Wirkung eines jeden Striches
beobachtete, welchen sein Pinsel machte. „Ich liebte
Sie", wiederholte er einfach, „und ich lebte allein für Sie."

Dann legte er plötzlich den Pinsel nieder, stand
schnell auf und wandte sich zu ihr um. Sie neigte den
Kopf, damit er ihr nicht ins Gesicht sehen könne; aber
er beugte sich zu ihr nieder, bis seine Lippen für
einen Augenblick das graue Fell berührten, welches ihren
Nacken umschlang. Da wurde drunten das Geräusch
von Rädern hörbar; der Wagen kam, um sie zu holen.

„Sagen Sie mir, daß Sie mich liebten", sagte er,
„daß auch Sie Ihre Worte aufrichtig meinten." Sie
bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und sein Blick
mußte auf die Ringe an ihren Fingern fallen. Die
Thür öffnete sich, und mit einer schnellen Bewegung
wichen beide von einander.

„Gnädige Frau", sagte Susette, indem sie schnell
hereintrat, „Mylord ist plötzlich zurückgekehrt. Ein

Die Kunst für Alle XI.

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