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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0060

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Die letzten Pinselstriche.

40

begann auf die Leinwand zu zeichnen; „selten hat sie soviel
Selbstverleugnung, uns das Geringste einstiger Schön-
heit zu lassen." Sie machte eine kleine Grimasse, die
einstudiert war und demgemäß ihre Wirkung auf ihn nicht
verfehlte : einige Minuten lang sprach keines von ihnen.
„Sie waren überrascht, als Sie hörten, wer Ihnen sitzen
würde, Hen — Monsieur Carbouche?" Sie verbesserte
sich fast widerstrebend und beobachtete die Wirkung des
ihr scheinbar aus Achtlosigkeit zur Hälfte entschlüpften
Wortes. Seine Miene wurde nur noch kälter als zuvor,
und noch förmlicher als bisher sagte er:

„Es giebt viele unerwartete Dinge im Leben, Frau
Gräfin; aber wenn man alt wird, ist man nur selten
überrascht." Und dann folgte wieder Stille.

„Sie finden es wohl sonderbar, zu sprechen, während
Sie malen?" fragte sie.

„Für gewöhnlich ziehe ich es vor, zu schweigen,
Madame."

„Ich sehne mich so sehr danach, etwas über Sie
selbst zu hören."

„Ihre Sehnsucht ist schmeichelhaft für mich", sagte
er kalt.

„Ich habe Ihre Laufbahn, mit großem Interesse
verfolgt."

„Ihr Interesse ehrt mich", und er fuhr in
seiner Arbeit fort. Lady
Harlekston war starr.

Wenn er zu ihr aufsah.
fand sich kein anderer Aus-
druck in seinem Gesicht als
der Wunsch, das Porträt,
zu welchem er sich ver-
pflichtet hatte, sorgfältig
auszuführen. Augenschein-
lich arbeitete er mit großer
Schnelligkeit und Ent-
schiedenheit. Eine Stunde
verstrich, und das Bild
war beträchtlich vorge-
schritten ; aber der Maler
und sein Modell standen
noch genau auf demselben
Fuße mit einander wie
in dem ersten Augenblick
nach ihrer Ankunft. Jetzt
unternahm sie ein kühnes
Wagnis. „Sind Sie kürz-
lich in St. Germain ge-
wesen?" fragte sie plötzlich.

„Nein, Madame."

„Es ist ein trauter
Ort", sagte sie; „ich sehne
mich, ihn wiederzuschen."

„Das würde keine
Schwierigkeiten haben",
antwortete er abwesend,
als wenn seine volle Auf-
merksamkeit auf sein Werk
gerichtet gewesen wäre.

„Es ist keine volle Stunde
von Paris entfernt, und
die Züge' gehen häufig."

„Der Platz ist voll

von Erinnerungen — es würde mich traurig machen",
sagte sie mit einem Seufzer, aber er war still. „Es
ist ein schöner Platz", fügte sie hinzu.

„Er ist jetzt nicht schön, Madame", sagte er bitter;
„es ist Winter, und die Blätter sind gefallen. St. Ger-
main ist abhängig von seinem Laubwerk; wenn das ab-
gcwelkt ist, ist der Wald kahl und häßlich. Seine Schönheit
ist wie Frauenschönheit. In der Regel hat ein Weib wenig
Schönes außer seinem Aussehen; auch St. Germain hat,
wenn der Sommer geht, ohne seinen Blätterschmuck
nichts mehr."

„Jugend und Sommer sind nicht alles", sagte sie
beinahe kläglich.

„O nein", antwortete er, „bisweilen kommen
Kenntnisse und Weisheit mit dem Alter, und im Winter
hat man Zeit zur Reflexion." Wieder Stille. Carbouche
förderte schweigend sein Bild. Kühn und schnell blickte
er sie an, und sicher und ohne Zaudern kehrte sein
Pinsel dann zur Leinwand zurück. Die Sitzung war
fast beendet.

„Monsieur", sagte sie sanft, „ich glaube, Sie sind
sehr hart."

„Vielleicht", und er zuckte die Achseln; „aber man
kann nichts für seine Natur. Sie ist entweder das
Glück oder das Unglück des Betreffenden."

„Ich glaube", fuhr
sie nachdenklich fort, „die
Härte ist eine unvermeid-
liche Eigenschaft des
Genies; so viele köstliche
Dinge sind hart; der
Diamant ist der härteste
von allen", fügte sie
klagend hinzu.

„Gnädige Frau sind
höchst sinnreich und wollen
einem schmeicheln mit dem
Besitz eines Fehlers"; in
seiner Stimme lag nichts
von Nachgiebigkeit. Sie
schwieg für einige Mi-
nuten, er setzte den Pinsel
ab und zog den Daumen
aus der Palette. Die
Sitzung hatte ihr Ende
erreicht; prüfend betrach-
tete er sein Modell und
dann sein Werk. Unten
fuhr der Wagen vor. Mit
einem schweren Atemzuge
fragte sie:

„Verzeihen Sie nie-
mals?" Er sah sie ge-
rade an.

„Verzeihen? O ja,
wir alle thun das bis-
weilen."

„Und machen Sie
keinen Unterschied bei der
Vergebung?" fragte sie.

„Ich könnte vielleicht
einem Einbrecher, der mich
bestohlen hat, vergeben",

Diana. Nach einer Vriginal-Radierung von Alexander Frenz.
 
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